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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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kommen mit einem Filmstarlächeln zurück. Die Mädchen wünschen sich zum achtzehnten Geburtstag von Mum und Dad eine Brustoperation. Die Jungs mühen sich im Kraftraum ab, schlucken Anabolika und stöhnen beim Gewichtheben. Einige von ihnen zupfen sich die Augenbrauen und haben sogar angefangen, sich zu schminken. Es gibt Herrenschminke in Metalldöschen, damit es nicht so tuntig aussieht, und Ziel ist es, dass es bemerkt wird, ohne dass man es sieht. Es gibt abendliche Herrenschminkkurse, in die so einige der Arschgeigen rennen.
    Barbie und Ken. Das ist das Ziel. Plastik ohne Ende.
     
    Ich stand an diesem käsigen Montagmorgen vor dem Badezimmerspiegel, putzte mir die Zähne und fühlte mich so verdammt wütend. Klaute mir von Mamas Haargel und bürstete die Haare in alle möglichen Richtungen. Drückte einen Mitesser aus, einen richtig dicken fetten, dass Blut und Eiter aufs Spiegelglas spritzten und auf der Stirn ein roter Vulkan zurückblieb.
    Die Nase war verstopft, also steckte ich einen Finger hinein. Musste lange wühlen, bekam dann einen Rekordpopel heraus. So einen gelbschleimigen Rotzknoten von riesigem Umfang, der an der Fingerspitze kleben blieb. Ich wollte ihn gerade abstreifen, als mir eine Idee kam. Es sah aus, als hätte ich versucht, mir die Nase zu putzen, aber das Papier vergessen. Es war das Ekligste, was ich je gesehen hatte.
    Ich drückte den Dreck an die Wange und ließ ihn dort kleben. Zog mir die Jacke an. Begab mich hinaus in die hässliche Welt.
     
    Bereits im Bus waren die Reaktionen zu spüren. Die Leute warfen mir verwunderte Blicke zu, wandten sich ab und überlegten – was zum Teufel war das? Und dann guckten sie noch einmal genauer hin. Und dann kam die Reaktion, ich konnte direkt sehen, wie sie sich innerlich schüttelten. Anschließend überlegten sie, wie peinlich das doch für mich war, die dachten, ich wüsste nichts von dem Rotz, manche fuhren sich schnell mit der Hand übers eigene Gesicht, um nachzuprüfen, ob sie selbst sauber waren.
    Andere waren eher sadistisch veranlagt. Sie grinsten höhnisch und genossen meine peinliche Lage, sie flüsterten ihren Kumpels etwas zu, um den Anblick zu teilen. Niemand sagte etwas zu mir. Niemand wollte mir helfen, indem er beispielsweise murmelte:
    »Hey, Junge, guck mal in den Spiegel.«
    In der Schule zeigte ich mein breitestes Lachen und grüßte alle, die ich auf dem Flur traf, übertrieben freundlich:
    »Hallo! Wie geht's?«
    Sie schauten mich verwundert an. Viele waren kurz davor, meinen Gruß zu erwidern. Doch dann entdeckten sie den Rotzfleck. Ihre Gesichter verzerrten sich. Oder erstarrten zu Gips. Ein Mädchen sah aus, als würde sie sich gleich übergeben. Eine andere errötete bis unter die Haarwurzeln.
    Ich spürte, wie sich vor dem Klassenzimmer die Sperrzone um mich herum ausweitete. Die Leute zogen sich zurück, als wäre ich ansteckend.
    »Ein herrlicher Morgen«, rief ich fröhlich. »So ein bisschen Englisch jetzt, das ist doch genau das Richtige. Gerade die Lektionen mit den Präpositionen, die gefallen mir besonders gut.«
    »Eklig!«, rief einer der Arschgeigen aus.
    »Ach, hast du den Namen geändert?«, konterte ich.
    »Wisch den Dreck ab.«
    Ich lächelte einfach zurück, ein sonniges Teletubbies-Lächeln. Spürte, wie der Rotz langsam trocknete, die Haut spannte.
    »Du hast was am Zahnfleisch«, sagte ich. »Hast du vergessen, die Zähne zu putzen?«
    Der Typ klappte den Mund zu. Er wurde sofort unsicher. Versuchte mit der Zunge zu fühlen, gab es da irgendetwas? Ich selbst stand weiter ruhig da. Registrierte zufrieden, wie er schließlich abzischte. Zur Toilette, um nachzusehen. So einfach waren sie auszupunkten:
    »Du bist nicht perfekt! Ein Fleck auf dem Hemd, der Lippenstift ist etwas verwischt …«
    Aber Rotz. Was ist denn so schrecklich an Rotz? Alle haben ihn in der Nase, das Einzige, was ich getan hatte: ihn um ein paar Zentimeter verschoben.
    Beim Mittagessen saß ich allein in der Kantine. Zwei Jungs wollten sich gerade zu mir an den Tisch setzen, da entdeckten sie meinen Gesichtsschmuck und machten augenblicklich kehrt. Ist schon merkwürdig, wie empfindlich wir sind. Wenn wir ein Glas Milch eingießen, und es ist ein schwarzer Punkt darin, dann holen wir ihn raus, obwohl es vermutlich nur ein Brotkrümel ist. Viele würden sogar die ganze Milch wegkippen. Oder ein Haar im Essen, ein kleines Härchen. Was spielt denn das für eine Rolle? Sitzt es auf dem Kopf, dann wird es als schön empfunden,

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