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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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hören. Ich aß fast den ganzen Teller leer, bis auf ein paar Kartoffeln, die ich nicht mehr schaffte. Bevor ich reagieren konnte, lagen neue Fleischklöße auf dem Teller.
    »Ich glaube, ich bin jetzt satt.«
    »Iss!«
    »Ja, aber …«
    »Du hast gesagt, es schmeckt. Du hast es gesagt.«
    Zwischen den Worten keuchte und zischte sie wie ein Dampfkessel mit starkem Überdruck. Ihr Gesicht glänzte vor Schweiß. Sie schrie nicht, aber ihre Backentaschen wurden immer roter. Ich schielte auf die Fleischklopse. Wenn ich mir Mühe gab, würde ich sie wohl noch verdrücken können. Schweigend beugte ich mich vor und fing wieder an zu kauen. Sie beruhigte sich augenblicklich und stand keuchend da, die Unterarme wie große Teiglaiber vor der Brust verschränkt. Ihr Stoffzelt hob und senkte sich und raschelte leicht, wenn sie keuchte. Es schien, als wäre die Lunge zu klein da drinnen, als gäbe es nicht genug Platz für die Luft.
    Endlich hatte ich es geschafft. Der letzte Bissen wuchs in meinem Mund zu einem Tennisball, so groß und wollig, ich musste mir alle Mühe geben, dass er drinnen blieb.
    »Nachtisch«, sagte sie.
    »Nein, vielen Dank.«
    »Nachtisch gehört dazu.«
    »Nein, jetzt schaffe ich wirklich nichts mehr, das steht jedenfalls fest …«
    Ohne dass ich mitbekam, wie es passierte, hielt sie mir plötzlich einen Teller mit einem zitternden Karamellpudding unter die Nase.
    »Du musst davon was nehmen«, sagte sie.
    »Was?«
    »Nimm was. Du hast gehört, was ich gesagt habe.«
    Ich ergriff den kleinen Löffel und grub ein wenig im Pudding, führte den kleinen Klecks an die Lippen, war aber nicht in der Lage, ihn zu schlucken.
    »Satt?«, fragte sie.
    »Oh ja … pappsatt …«, stöhnte ich.
    Der Pudding wurde zurück zur Arbeitsplatte getragen. Gemächlich öffnete die Frau den Unterschrank und ließ die gesamte Portion mit einem weichen Schmatzer in den Mülleimer rutschen. Ich traute meinen Augen nicht. Schnell zog ich mir die Schuhe an, bevor sie mir noch etwas würde auftischen können.
    »Schönen Gruß an Pål«, murmelte ich.
    Da knallte die Haustür. Kurz darauf erschien Pålle in der Küchentür, in seiner Waldkleidung. Er ließ den Blick zwischen seiner Mutter und mir hin und her wandern, sichtlich verwundert. Keiner von beiden sagte etwas, kein Hallo oder Komm rein oder so etwas in der Art. Schließlich schien er sich geradezu in die Küche zu schleichen, auf den Strümpfen schlurfend, und ließ sich auf den Stuhl plumpsen, auf dem ich gerade gesessen hatte.
    Ich starrte seine Mutter an. Die Mutter lugte zu Pålle. Pålle starrte sie an.
    »Hast du Hunger?«, fragte sie.
    »Kommt drauf an«, antwortete er.
    »Willste was oder nicht?«, kam es eine Spur schärfer.
    »Okay«, sagte er.
    »Das ist schön«, sagte sie und wandte sich mir zu. »Hat das Essen geschmeckt?«
    »Sehr gut«, sagte ich.
    »Du findest also, es hat geschmeckt?«
    »Ja, wirklich gut.«
    »Und der Nachtisch auch?«
    Darauf antwortete ich nicht mehr. Ich sah, wie sich ihr Gesicht verzog. Ein Lächeln würde das wohl kaum werden, aber die Lippen wurden extrem breit gezogen, als sie sich Pålle zuwandte.
    »Leider ist nichts mehr übrig.«
    Pålle schielte zu mir herüber. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.
    »Du musst verstehen, dein Freund, der war so hungrig. Er hat alles gekriegt, als es noch warm war. Und den Nachtisch auch, deshalb gibt es jetzt nichts mehr. Und glaub bloß nicht, dass ich mich hinstelle und noch mal etwas koche.«
    Wortlos stand Pålle vom Tisch auf. Ich eilte ihm nach auf den Flur hinaus.
    »Hau ab«, flüsterte er.
    »Tut mir leid, Scheiße … ich wusste ja nicht …«
    »Hau bloß ab. Mein Alter kann jeden Moment kommen.«
    »Nur eins, Pålle, hör mir zu!«
    »Aber schnell.«
    Ich dachte hastig nach. Musste es ihm so beibringen, dass er den Ernst der Lage begriff.
    »Sie sind hinter dir her. Die Bande vom Klo. Ich hab gehört, wie sie sich abgesprochen haben.«
    »Was meinst du damit?«
    »Sie wollen dir's zeigen. Dir den Arm brechen oder so was in der Art. Und der es macht, der wird dafür bezahlt.«
    Pålle hörte ungeduldig zu.
    »Okay«, sagte er kurz. »War das alles?«
    »Kriegst du jetzt nichts mehr zu essen?«
    »Das geht schon klar.«
    »Sie hat den Nachtisch mit Absicht weggeschmissen. Ich wollte ihn gar nicht.«
    »Geh. Du willst meinen Alten lieber nicht treffen.«
    Zögernd drückte ich die Klinke der Haustür hinunter. Ein knurrendes Maul zwängte sich durch den Spalt und schnappte

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