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Erschiess die Apfelsine

Erschiess die Apfelsine

Titel: Erschiess die Apfelsine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mikael Niemi
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in dem ein Stockwerk nach dem anderen kollabierte, eine Riesenfähre, die im Meer mit weggerissener Bugklappe unterging, ein heranrasender Asteroid, kurz gesagt: Ich war vollkommen aus dem Gleichgewicht. Sie hatte mich geöffnet, sie war meine erste Leserin und hielt meine Herzensfetzen in den Händen, ich war nicht bereit, wollte weiterblättern, damit ich verschwand, die Buchstaben löschen und als Blume wiedergeboren werden.
    Und dann kamen sie, noch konnte ich fliehen, aber ich wollte so gern in irgendeiner Weise Kontakt aufnehmen. Ohne dadurch zusammenzubrechen. Einen Faden zwischen uns spinnen, eine feine Kontaktleitung herstellen. Nur ein kleines Hallo. Genau das, ein Hallo sollte es werden. Nicht zwanzig rote Rosen, sondern ein Hallo und ein warmer Blick, so dass sie verstand. Wer es geschrieben hatte. Nicht so ein zaghaftes Hallo mit viel Luft, sondern ein Hallo mit Kraft und offenem Blick, die Lippen voneinander getrennt, so dass die Vorderzähne zu sehen waren, oh je, jetzt kamen sie, jetzt waren sie hier, jetzt musste ich es herausbringen:
    »Äh, hallo!«
    Sie schaute mich an. Ein Blick für den Bruchteil einer Sekunde, dann war er wieder woanders. Fort. Nicht ein Ton von ihr, keine Antwort, aber ein paar Meter weiter hörte ich, wie eine Freundin fragte:
    »Wer war der Kasper denn?«
    Ich hatte dieses blöde Äh vorangestellt. Äh, hallo, nicht ganz locker Hallo, wie geplant. Und außerdem noch in viel zu hoher Tonlage. Hatte gemeckert wie eine Ziege. Verdammt, das hatte ich nicht gewollt. Hätte sie das Gedicht nicht gelesen, wäre ich nicht so aufgeregt gewesen, dann wäre es gut gegangen. Das musste der Grund dafür gewesen sein, warum sie nichts erwidert hatte, dass sie so getan hatte, als hätte sie nichts gehört. Dieses blöde Äh. Denn sie war doch wohl nicht sauer? Weil ich sie nicht schon früher gegrüßt hatte. Jetzt hatte ich einmal nicht Hallo zu ihr gesagt und sie hatte einmal nicht Hallo zu mir gesagt. Jetzt waren wir quitt. Jetzt konnten wir von vorn anfangen.
    Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann war mir klar, dass die Sache gelaufen war. »Dieser Kasper«, hatte die Freundin gesagt. Diese meckernde Ziege, die sich hinter der Ecke versteckt hatte. Ich hatte mich bis auf die Knochen blamiert. Schreibe das fünfhundert Mal an die Tafel:
     
    Ich habe mich blamiert. Ich habe mich blamiert.
    Ich habe mich blamiert. Ich habe mich blamiert.
    Ich habe mich blamiert. Ich habe mich blamiert.
    Ich habe mich blamiert. Ich habe mich blamiert.
    Ich habe mich blamiert. Ich habe mich blamiert …
     
    Nach dem Unterricht überquerte ich den Schulhof auf dem Weg zur Bushaltestelle. Ich war immer noch schlecht gelaunt, deprimiert und nicht so aufmerksam wie sonst. Fast am Zebrastreifen angekommen, spürte ich von hinten einen Arm kommen. Er umklammerte meinen Hals, so fest, dass ich nach hinten gerissen wurde, ich krächzte, bekam keine Luft.
    »Wo ist Pålle?«, murmelte mir jemand ins Ohr.
    »Ääh … hhhrrr … wer?«
    »Pålle, die Schwuchtel. Los, raus damit!«
    »Khrr … hhhh …«
    Die Luft ging zu Ende. Ich spürte, wie mir schwarz vor Augen wurde. Der Kerl merkte es auch und lockerte den Griff so weit, dass ich gerade eben noch atmen konnte.
    »Den kenne ich nicht …«, presste ich hervor.
    Als Antwort bekam ich ein Knie ans Steißbein. Der Arm drückte zu, dass ich zu Boden ging, dann traf mich ein Tritt am Schenkel. Jetzt konnte ich sehen, dass sie zu zweit waren. Der eine war der Kerl aus dem Klo mit den gegelten Haaren. Der andere war groß gewachsen, hatte Sommersprossen und eine Himmelfahrtsnase wie ein Schwein. Ludvig und die Schweinefresse.
    »Wir werden ihn finden. Grüß die Schwuchtel von uns. Der Kerl ist schon so gut wie tot, sag ihm das.«
    Während ich versuchte, auf die Beine zu kommen, schlenderten sie davon. Mein Schenkel brannte wie Feuer, auf den Handflächen war die Haut aufgerissen. Der Rücken tat so weh, dass ich mich krümmen musste, um nicht zu schreien. Es war weit und breit kein Zeuge zu sehen, niemand schien bemerkt zu haben, was passiert war. Humpelnd ging ich zur Bushaltestelle.
     

KATOPPEL 9
     
    Wir spulen den Film zurück. Zurück, noch ein bisschen, stopp!
    »Wo ist Pålle?
    »Ääh … wer?«
    »Pålle, die Schwuchtel. Los, raus damit!«
    Die Luft ging zu Ende. Ich spürte, wie mir schwarz vor Augen wurde. Mit aller Kraft warf ich mich nach hinten. Der Kerl mit dem Schweinegesicht war darauf nicht vorbereitet, ich fiel mit meinem gesamten

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