Erschiess die Apfelsine
aber auf den Kartoffeln erzeugt es Übelkeit. Oder aber Insekten. Ja, da ist es noch schlimmer. Eine Fliege in der Suppe, das ist nicht lecker. Denn Fliegen stehen ja auf Toiletten und verweste Tierkadaver, man kann nie wissen, wo sie vorher gewesen sind. Und da liegt nun dieser kleine Fliegenkörper mitten im Essen. Mit seinem kleinen Fliegenarsch, der vielleicht gerade geschissen hat, so dass die Fliegenkacke jetzt in der Suppe schwimmt.
Spucke ist auch interessant. Wir haben ja alle Spucke im Mund, und das ist auch in Ordnung so. Wir können problemlos einander küssen. Aber sobald die Spucke die Lippen verlässt, wird es obereklig. Wenn ich auf meine Scheibe Brot spucke und sie anschließend aufesse, da schütteln sich die Leute, obwohl die Spucke doch meine eigene ist. Rotz zu essen, ist auch eklig, aber nur, wenn er vorher die Nase verlassen hat. Und Rotz direkt über die Nase in den Hals hineinzuziehen, das tun wir doch alle immer mal wieder. Kotze ist eklig, keiner will Kotze wieder essen. Und trotzdem laufen wir alle mit Kotze im Magen herum, Essen vermischt mit Magensäure. Nahrung, die langsam in Scheiße verwandelt wird. Und Scheiße ist eklig, da kann ich nur zustimmen. Aber Scheiße, das ist doch nur Nahrung minus Nährstoffe. Die Sachen, die wir in uns hineinstopfen, sind doch dieselben, die einen Tag später wieder herauskommen, dann aber in eingedickter Form.
Das Einzige im Körper, was nicht eklig ist, das ist Blut. Man darf an einem Riss in der Haut saugen, das ist okay. Man darf sogar Blutpudding essen. Aber stellt euch mal eine Mahlzeit mit Rotzpudding vor. Wohl kaum ein Hit, nicht einmal mit Himbeersaft. Dagegen kann man Hühnereier essen, die doch aus Vogelärschen herausgedrückt werden. Oder Gemüse, das in der Erde stand, die wiederum mit Kuhscheiße gedüngt war und leckeres Kuhscheißwasser aufgesogen hat. Oder Fisch, der sein ganzes Leben lang zwischen pissenden und Tickenden Gestalten aller Art herumgeschwommen ist.
Es gibt eigentlich nur eine Art von Nahrung, die nicht eklig ist. Wie sehr ich es auch versucht habe, ich konnte keinen Ekel oder Widerwillen erzeugen.
Und das ist Fleisch. Fleisch, das ist ja wie Blut, es ist in irgendeiner Art einfach rein. Und außerdem schmeckt es auch noch gut.
Ich verließ die Kantine und fühlte mich richtig prima. Ein halber Tag mit Rotz auf der Visage war überstanden. Vor nur einer Woche wäre ich lieber gestorben. Alle hassten mich, aber ich kam damit zurecht. Sie konnten mich nicht fertig machen.
Am Fahrradständer standen ein paar Jungs. Ich ging vorbei und konnte es nicht vermeiden, einige Worte aufzuschnappen.
» …wenn wir Pålle fertig machen. Ihm den Arm brechen.«
»Der Kerl muss verschwinden von hier.«
»Er macht ja die ganze Schule kaputt.«
»Dieser Scheißschwule.«
»Wir werden dieses Arschloch schon noch kriegen.«
Sie merkten, dass ich näher kam, und verstummten. Da hatte ich sie bereits wiedererkannt. Es war die Bande vom Klo, die versucht hatte, Pålle zu verprügeln. Ich tat so, als hätte ich nichts gehört, und ging einfach weiter aufs Schulgebäude zu. Aber in meinem Inneren fühlte ich eine bohrende Unruhe.
Ich hielt nach Pålle Ausschau, konnte ihn aber nirgends entdecken. Vielleicht hatte er ja Unterricht. Also ging ich stattdessen in den Kunsttrakt. Da gab es für mich etwas zu tun. Ich stellte mich locker vor das Schwarze Brett und tat so, als läse ich die peinlichen Lyrikversuche, während ich in die Halle schielte. Niemand schien mich zu bemerken.
Was ist das Schwierigste überhaupt? Was ist das größte Risiko, das man im Leben auf sich nehmen kann?
Sich so zu zeigen, wie man tatsächlich ist. Sich nicht mehr zu verstellen, die Maske abzunehmen und festzustellen, dass darunter noch eine Maske sitzt. Und die auch herunterzunehmen und eine weitere zu finden. Und unter der noch eine. Plastikmasken, Gummimasken, von denen man keine Ahnung hatte, weil sie so perfekt saßen, und wenn man bei der letzten, innersten angelangt ist, stellt man fest, dass sie an der Haut festsitzt. Die hat es dort schon so lange gegeben, dass sie festgewachsen ist. Aber wenn man an ihren Rändern entlang fährt, dann kann man dort einen Spalt finden, in den die Nägel passen, und man kann auch diesen letzten Schutz mit einem feuchten, schmatzenden Geräusch vorsichtig ablösen. Darunter ist die Haut eine offene Wunde. Jede stärkere Berührung dringt direkt hinein, jedes Anpiksen, jeder Stich kann einen töten. Es ist nicht
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