Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde

Titel: Erskine, Barbara - Mitternacht ist eine einsame Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
Vom Netzwerk:
»Wie wär‘s mit was Warmem?«
    Pete nickte. Auf dem Sofa lag Paddy, gut zugedeckt, und schlief. Wie Kate hatte auch er geweint, als Diana ihm sagte, daß sein Vater tot war, aber seine Erschöpfung war ohnehin schon zuviel für ihn gewesen. Während der Arzt mit dem Stethoskop neben ihm gesessen und mit ihm gesprochen hatte, war der Junge plötzlich eingeschlafen. »Laßt ihn nur schlafen.« Dr. Jamieson war aufgestanden und hatte den zusammengelegten Schlauch in die Tasche gesteckt. »Schlaf ist das beste Heilmittel. Er ist erschöpft, und er ist traurig, aber er ist ein kräftiger Bursche. Er wird es schon schaffen.«
    Pete und Anne saßen sich am Küchentisch gegenüber. »Komische Geschichte.« Pete grinste. Sein vom Wetter gegerbtes Gesicht wurde von einer Unmenge von Falten durchzogen, wenn er lächelte.
    Sie sah ihn an. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was ich eigentlich hier mache.«
    Er nickte gutgelaunt. »Ich mich auch. Das soll uns eine Lehre sein, bevor wir uns das nächste Mal einmischen. Ich wollte nur ein paar ehrliche Scheine verdienen; eine letzte Fuhre, dann wollte ich Feierabend machen.« Er blickte in seinen Becher und blies den Dampf weg.
    »Wie, glauben Sie, wird es weitergehen?« fragte er sie nach einem langen Schweigen.
    »Der Polizist hat gesagt, daß er einen Wagen für Mr. Lindsey und den armen Kerl im Cottage schickt.«
    »Ich meine mit Marcus.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. »Um Marcus müssen wir uns noch kümmern.«
    »Gespenster kann man nicht verhaften.«
    Pete lachte kurz auf. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß dieser junge Bursche überhaupt irgendwen verhaftet. Er sah aus, als ob er noch Plastikspielzeug aus den Cornflakes-Packungen sammelt.«
    »Ich fand ihn ganz nett.«
    »Na ja, wenn Sie sowas mögen. Sie stehen auf Uniformen, was?« Es war ein halbherziger Annäherungsversuch, aber er wurde mit einem freundlichen Klaps auf die Schulter beantwortet. Als Anne die Hand senkte, erstarrte sie. »Was war das?«
    Sie horchten beide.
    »Scheiße! Ich habe nicht damit gerechnet, daß er zurückkommt. Nicht so bald.« Pete stand auf. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen.
    Sie konnten es jetzt beide deutlich hören. Schritte im ersten Stock. Langsame, schwerfällige Schritte.
    Pete nahm lautlos das Brotmesser vom Tisch. Auf Zehenspitzen schlich er hinüber zur Tür und warf dabei schnell einen Blick auf Patrick, der noch immer fest schlief.
    Anne folgte ihm, als er langsam die Treppe hochschlich und den Korridor entlangspähte. Da war nichts. Vorsichtig bewegte er sich über die polierten Bretter und stieß die erste Tür auf. Zimmer um Zimmer durchsuchten sie den gesamten ersten Stock. Es gab nicht den geringsten Hinweis, daß jemand hier war. In Patricks Zimmer blieben sie stehen und sahen sich an. »Riechen Sie es auch?« fragte sie schließlich. »Zigaretten.« Sie biß sich auf die Lippe.
    »Aber keine römischen.« Pete brach in ein kurzes, bellendes Gelächter aus. »Vielleicht raucht der Junge heimlich. Oder vielleicht ist es Mr. Lindsey«, fuhr er zögernd fort, »und sieht nach dem Rechten.«
    Anne zitterte. »Ich glaube nicht, daß mich dieser Gedanke beruhigt.«
    »Sollte er aber. Kommen Sie. Gehen wir nach unten. In diesem Haus ist es verdammt kalt.« Sie gingen zurück nach unten, Pete zuerst. Bei Patrick blieben sie stehen und waren insgeheim beide erleichtert zu sehen, daß er genauso fest schlief wie zuvor; er atmete tief und gleichmäßig, und auch seine Gesichtsfarbe war normal.
    »‹Der Mensch erkennt nie etwas ganz oder versteht es völlig¤ «, zitierte Anne leise. »Jung hat das gesagt. Daran versuche ich mich immer zu erinnern, wenn ich merke, daß mein Gehirn überlastet wird, weil ich etwas nicht verstehen kann. Es ist tröstlich.« Sie warf sich in einen Sessel und machte die Augen zu. Dann riß sie sie weit auf.
    »Ich kann wieder ihr Parfüm riechen.« Es hatte mehrere Minuten gedauert, bis es stark genug war, um es wahrnehmen zu können.
    »Ja.« Er hatte den Moschusduft auch gerochen. Der Tabakrauch war verschwunden.
    »Was sollen wir tun?«
    Er drehte sich um und zuckte mit den Schultern. »Was können wir schon machen, außer warten?«

LXXIII
    Es fühlte sich immer weniger seltsam an. Er trieb über dem Wasser den Strand hinauf; das Grab, in dem er so lange gelegen hatte, konnte er nicht mehr sehen. Das machte alles nichts. Nichts machte mehr etwas aus; jetzt, da er stärker wurde. Es war der Mann am Strand, der große,

Weitere Kostenlose Bücher