Ertränkt alle Hunde
Die mächtigen Fitzgeralds von der Bloor Street.«
»Die hätten sie sehen sollen. In unserem Haus in Hell’s Kitchen gab es nur einen Luxus. Das war das Radio, ein Atwater-Kent. Sie las für ihr Leben gern, konnte sich Bücher aber nur in der Bibliothek ausleihen, gekauft hat sie niemals eines. Nie habe ich ein Kleid an ihr gesehen, das nicht vom Tisch mit den Kleidern verstorbener Gemeindemitglieder der Holy Cross stammte. An Feiertagen ist sie mit mir in den Park gegangen. Sie wollte sich immer die Blumen ansehen. Ich erinnere mich, wie sie gesagt hat, daß feine Häuser voller Blumen seien. Solange sie lebte, hatten wir zu Hause nie Blumen. Allerdings gab es bei ihrer Beerdigung Blumen. Onkel Liam hat Rosen in ihr Grab geworfen.«
»Woran ist sie gestorben, Hock?«
»Woran in unserem Viertel alle starben - sie war aufgezehrt von einem Leben harter Arbeit.«
»Sie hat eine Menge Geheimnisse mit ins Grab genommen, doch jetzt kann sie sie nicht länger bewahren.«
»Nein.«
Wir tranken noch ein Glas und schauten zu, wie das Feuer im
Kamin erlosch. Als die Glut zu Asche wurde, klopfte es wieder an der Tür.
»Gut. Das muß Moira sein«, sagte Ruby. »Ich sterbe vor Hunger.«
Ruby zog einen Bademantel über und ging zur Tür. Ich hörte Moiras Stimme, und schon zog mir der herrliche Duft warmer Mahlzeiten und von Kaffee in die Nase. Ich stand ebenfalls auf und ging zur Tür.
Moira in ihrer Schürze stand - nervös lächelnd, wie ich fand -hinter einem kleinen Servierwagen. Auf diesem Wagen befanden sich mehrere abgedeckte Teller, eine Karaffe Mineralwasser, Kaffee in zwei Glasbechern mit Deckel und eine schlanke Vase mit zwei gelben Rosen.
»Das ist wirklich sehr nett«, sagte Ruby zu Moira. »Es war ein anstrengender Tag, und wir haben schrecklichen Hunger.«
»Wenn es Ihnen recht ist, Ma’am, richte ich Ihr Abendbrot auf dem Tisch im Zimmer an, drüben vor dem Kamin«, sagte Moira.
» Ma'am ? Was ist mit schlicht und einfach Ruby passiert?«
»Pssst!« warnte Moira.
Dann verdrehte sie die Augen Richtung Treppe. Wir erhaschten einen Blick auf Snoodys Kopf etwa eine halbe Treppe abwärts.
»Ich verstehe«, sagte Ruby. »Kommen Sie herein, Moira.«
Moira schob den Wagen durch das Zimmer zum Kamin und deckte schweigend den Tisch. Ruby folgte ihr.
Ich zog mich gerade weit genug in das rote Zimmer zurück, um von Snoody nicht mehr gesehen werden zu können, und lauschte, wie er die Treppe heraufgeschlichen kam. Vor der Tür blieb er zum Spionieren stehen. Ich konnte ihn durch die Nase schnaufen hören.
Als Moira mit unserem Tisch fertig war, kehrte sie mit dem nun leeren Servierwagen zur Tür zurück. Dort hielt Ruby sie auf.
»Moira?« fragte sie.
»Ma’am?« erwiderte Moira und drehte sich um.
»Sehen wir uns morgen?«
»Nae, das bezweifle ich...«
Moira gestikulierte wieder mit den Augen und fuhr mit einem Finger über ihr Haarnetz. Ich versuchte, sie mir als junges Mädchen in Carlow vorzustellen, wie sie auf einer Frühlingsweide voller Klee zusammen mit dem Nachbarsjungen Liam die Blütenblätter von den Gänseblümchen abzupfte. Doch hier stand die einzige Moira, die ich kennen konnte, vor mir, den massigen Leib gehüllt in eine weiße Schürze und die Füße in festen, schwarzen, geschlechtslosen Schuhen, wie sie von Hausdienern und Nonnen bevorzugt zu werden scheinen. Und irgendwo in diesem traurigen Haus voller Rätsel war aus ihrer Mädchenliebe ein an einen Rollstuhl gefesselter Herr geworden.
»Es tut mir leid, Ma’am, wirklich.«
Und mir auch.
»Das meinst du also, wenn du sagst, Moira hält sich zurück?« fragte ich Ruby, als wir uns zu unserem Abendessen, bestehend aus pochiertem Lachs, Spargel mit Senf und Dill, Salzkartoffeln mit Petersilie, soda bread und Reispudding, an den Tisch setzten.
»So war’s heute morgen auch«, sagte Ruby. »Snoody wartete und hatte eine panische Angst vor dem, was sie mir wohl erzählen könnte. Du hättest den haßerfüllten Blick sehen sollen, den er ihr zuwarf, als sie mit dem Rätsel deines Onkels herausplatzte.«
»Das sie sich selbst ausgedacht hat?«
»Ja.«
»Dann haben wir zwei weitere und noch größere Rätsel.«
»Bitte - bereite mir heute abend nicht noch mehr Kopfzerbrechen«, stöhnte Ruby mit einer Gabel Lachs im Mund.
»Warum hat Moira überhaupt das Rätsel mit dem Blinden erfunden und -?«
Ruby knallte ihre Gabel hin und fiel mir ins Wort. »Dann will er mich also doch fertigmachen.«
»Und könnte die Antwort - die
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