Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
Vom Netzwerk:
zum Start vom JFK.
    Father Tim saß weit vorn, ungefähr ein halbes Dutzend Reihen von einem untersetzten, monotonen Monsignore entfernt, der die Hälfte der anwesenden Kirchgänger mit seiner Predigt in den Schlaf gequasselt hatte. Der kahle Schädel mit dem silbergrauen Haarkranz von Father Tim wurde erhellt von einem Lichtstrahl, gedämpft und gefärbt, als er durch das Buntglasfenster mit einer Darstellung der Kreuzigung Christi auf dem Kalvarienberg fiel.
    Ich war Father Tim dankbar, daß er die letzte Messe gewählt hatte. In meinem Zustand hätte ich mich auf gar keinen Fall zu einem früheren Zeitpunkt mit ihm treffen können. Noch dankbarer war ich, als der Organist einen mitreißenden Schlußchoral anstimmte und die Meßdiener die Kerzen löschten und mit großen Sträußen Farn und Lilien davonzockelten und die Spätvorstellung endlich vorbei war. Ich persönlich gehöre nicht zu den theatralischen Katholiken; ich sage immer, überlaßt die großen Auftritte dem Boss.
    Schnell verließen die Kirchgänger die Holy Cross Church. Alle, bis auf Father Tim, der blieb, um sich mit mir zu treffen. Während er auf mein Erscheinen wartete, entzündete er eine Opferkerze vor der Statue des heiligen Judas westlich der Kanzel am Kreuzweg. Ich ging einen Seitengang hinauf zu ihm. Er drehte sich nicht um, als er mich hörte. Der arme alte Knabe, dachte ich, scheint langsam taub zu werden. Es kam mir in den Sinn, daß die Lebensmitte vielleicht doch nicht so übel war, verglichen mit dem, was danach kam. Ich wollte gerade seinen Namen rufen. Ich bremste mich jedoch, als ich sah, daß sich seine Augen feierlich schlossen, während eine Rosenkranzperle zwischen den geröteten Knöcheln seiner Hand lag.
    Ich blieb still stehen und bekreuzigte mich, faltete dann vor mir die Hände und senkte den Kopf. Und lauschte Father Tim, der ein Bittgebet aufsagte.
    »Heiliger Judas, Apostel Christi und Helfer in verzweifelten Fällen, erhöre meine Gebete und Bitten. In all meinen Bedürfnissen und Begehren will ich nur erstreben, was Gott gefällt und meiner Rettung dient.« Father Tim legte eine Verschnaufpause ein, fuhr dann fort. »Diese meine Bittgesuche trage ich dir vor, bitte dich, sie mir zu gewähren, sofern sie gut sind für mein Seelenheil. Ich füge mich Gottes heiligem Willen in allen Dingen, weiß, daß Er kein aufrichtiges Gebet unbeantwortet läßt... auch wenn dies auf eine für mich unerwartete Weise geschieht.«
    Er öffnete die Augen und starrte die bemalte Kalksteinstatue an, hob den Blick dann weiter hinauf zu den von Staub flimmernden Sonnenstrahlen, die schnell in den Buntglasfenstern verblaßten. Aus der Sakristei und den Gängen, die den Altarraum umgaben, drangen vertraute Geräusche: schwere Türen bewegten sich auf alten Scharnieren, Lichtschalter wurden betätigt, eichene Bodendielen knarrten. Father Tim ließ den Rosenkranz in eine Seitentasche seiner schwarzen Anzugjacke gleiten.
    »Father Tim?« sagte ich, trat zu ihm und erwartete seine gewohnte Bärenumarmung.
    »Hallo, Neil.« Father Tim behielt die Arme steif an seinen Seiten und sah mich ausdruckslos an, als wären es nur Stunden und nicht Jahre, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten.
    »Sie sehen gut aus«, sagte ich. Die Wahrheit war, er sah doppelt so fürchterlich aus wie ich mich fühlte. Sein Gesicht war verquollen und fahl wie Schmalz. Seine einst schlanke Taille war nun gewölbt. Auf dem Hals hatte er einen Ausschlag, der deutlich über seinem Stehkragen zu sehen war. Seine Knie zitterten in der ausgebeulten Hose wie zwei Kids auf der Tanzfläche eines Highschool-Balles.
    »Hör sich einer deine Lügen an, und noch dazu am Tage des Herrn hier im Hause Gottes!« Father Tim lächelte und zwang sich zu einem winzigen Lachen, bei dem seine Nase fauchte.
    Ich legte einen Arm um seine Schultern, als wäre ich seine Großtante, die befürchtete, heute sei der letzte Tag, an dem ich ihn je berühren könnte. Ich erinnerte mich, daß seine Schultern früher viel breiter und fester gewesen waren. Ich roch seine leichte Whiskeyfahne, und verflucht sollte ich sein, aber ich stellte mir sehnsüchtig einen Johnnie Walker Red mit ein paar Eiswürfeln vor.
    »Vielen Dank, daß Sie ins alte Viertel gekommen sind, um sich mit mir zu treffen, Father«, sagte ich und fragte mich dabei vage, warum er das vorgeschlagen hatte.
    Pflichtbewußt klopfte er mir ein paarmal kurz auf den Rücken, dann löste er sich aus meiner Umklammerung. Er schob einen seiner

Weitere Kostenlose Bücher