Ertränkt alle Hunde
durchgescheuerten Jackenärmel hoch und warf einen Blick auf die goldene Rolex darunter, das Pensionierungsgeschenk der Katholischen Jugendorganisation von Hell’s Kitchen. »Was sagt dieses große, häßliche Ding?« fragte er und hob sein Handgelenk, damit ich das protzige Zifferblatt sehen konnte. »Ich habe meine Brille zu Hause liegenlassen.«
Ich dachte: Wo habe ich das schon mal gehört? Ich sagte: »Gleich halb sechs.«
»Wann geht dein Flug, Neil?«
»Um acht... und woher wissen Sie davon?«
Father Tim wischte sich über den Mund, als verlangte es ihn so sehr nach einem Schlückchen, daß er meinte, vielleicht Whiskey auf dem Handrücken schmecken zu können. »Nun, ich habe erst kürzlich mit Patrick Snoody telefoniert, weißt du... wegen dem armen Liam und so weiter«, sagte er. »Snoody erwähnte, daß du dich bald auf den Weg nach Dún Laoghaire machst.«
»Hat er das?«
»Hat er. Er hat gesagt, du und irgendeine Frau würden bald dort sein. Wer ist diese Frau?«
»Wer ist dieser Snoody?«
»Ein Freund.«
»Das sagt er. Wieso habe ich noch nie von ihm gehört?«
»Dein Onkel hat viele Freunde auf der anderen Seite. Du kannst nicht von allen gehört haben, verstehst du.« Father Tim blinzelte wieder seine Rolex an. Er brummte: »Es bleibt herzlich wenig Zeit für ein richtiges Gespräch, Neil. Und sei so gut, sprich heute nicht wie ein Cop mit mir.«
»Gehen wir auf ein Gläschen irgendwohin«, schlug ich vor.
»Ein Kaffee tut’s auch.«
Wir verließen die Kirche und gingen langsam die Forty-second Street rüber zu Pete Pitsikoulis’ All-Night Eats & World’s Best Coffee, wie es so schön auf der orangefarbenen Neonreklame heißt. Auf halbem Weg mußten wir einen Moment stehenbleiben, damit Father Tim sein Herz ausruhen lassen konnte, wie er sich ausdrückte. »Satan hat sich mit meiner Kraft davongemacht, weswegen ich mich nun mit dieser Altersschwäche herumschlagen muß«, beklagte er sich, lehnte sich gegen einen Briefkasten und keuchte wie ein Güterzug. »Es kommt mir vor, als wär’s erst gestern gewesen, als ich euch kleine Scheißer aus dem Chor über den ganzen Kirchhof gejagt habe.«
Schließlich schafften wir es zu Pete’s und setzten uns in eine Nische am Fenster. Wanda, die Kellnerin, wischte die Resopaltischplatte ab, rieb sie trocken und spritzte sie dann großzügig wieder naß, als sie unser Eiswasser, zwei Tassen Kaffee, eine Zuckerschale und Milch abstellte. »Genießt es, ihr zwei guten Kunden«, sagte sie, drehte sich um und watschelte von dannen. Ich saugte das Verschüttete mit Papierservietten auf.
Father Tim löffelte drei Zuckerberge in seine Tasse und rührte eine Menge Milch hinein. Meinen ließ ich schwarz, was Father Tim veranlaßte, angewidert das Gesicht zu verziehen. Ich fragte: »Was ist denn?«
»Trinkst du jetzt protestantischen Kaffee? Wie kann man nur?«
»Ich lebe, ich lasse leben.«
»Oh, ich verstehe. Wie ausgesprochen liberal, Mr. Ich-glaube-ich-nehme-einfach-ohne-den-Segen-des-heiligen-Standes-der-Ehe-irgendeine-Frau-mit-auf-eine-kleine-Flugreise.«
»Die Dame heißt Ruby Flagg, und wir sind beide über einundzwanzig. Und wir zwei sind nicht hier, um darüber zu reden.« Ich trank genüßlich einen Schluck von meinem schwarzen Kaffee. Father Tim schaute fort und schüttelte sich. Ich fragte: »Was sollte das Gebet an den heiligen Judas?«
»Ich verzweifle an meinem Gesundheitszustand.«
»Vielleicht, aber ich hatte den Eindruck, es ging um mehr.«
»Ich möchte vor Gesundheit strotzen.«
»Klar wollen Sie das, aber ist es nicht ein wenig drastisch, damit zum heiligen Judas zu gehen?«
In diesem Augenblick sah Father Tim sehr müde aus; seine Augen wanderten blicklos ab, konnten nicht über die Barriere schmerzhafter Gedanken hinaussehen. Mechanisch sagte er: »Nun, was ganz allgemein die Gesundheit betrifft, gibt es noch den heiligen Johannes...«
»Egal wer.«
»Es heißt, egal wen.«
»Vergessen Sie die Grammatikstunde«, sagte ich schroff in der Hoffnung, Father Tim auf das Wesentliche zu bringen. »Verraten Sie mir, was Sie bedrückt.«
»Wir wollen doch nicht vergessen, daß du mich angerufen hast.«
»Ich frage mich, ob Sie wohl wissen, warum.« Ich griff in meine Jacke, zog Aidan Hockadays Soldatenporträt heraus und hielt es zwischen uns hoch. »Sehen Sie das?«
Father Tim warf einen Blick darauf, dann ließ er den Kopf sinken und schlürfte seinen weißen, süßen Kaffee. »Ich sehe, daß du mir irgendein Foto zeigst.
Weitere Kostenlose Bücher