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Ertränkt alle Hunde

Ertränkt alle Hunde

Titel: Ertränkt alle Hunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Adcock
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in Ulster. Und deshalb sagen wir: Niemals wieder.
    Lange vor mir schon gab es Iren, die Englands Feinden Unterschlupf und Beistand gewährten. Das Motto des Patrioten lautet: Englands Krise ist Irlands Chance. Und in jedem Augenblick der Schwäche ist es die Pflicht eines jeden Patrioten, seinem Feind einen Stich in den Rücken zu versetzen. Was ich getan habe - ein Mann in der langen, wahnsinnigen Geschichte meines Landes.
    Du kannst mich nun vielleicht fragen, ob ich stolz bin auf das, was wir getan haben. Zunächst würde ich dir gestehen, daß ich kein guter Mensch bin. Ein guter Mensch begeht weder ein Verbrechen noch versäumt er, sich gegen Verbrechen auszusprechen, die er sieht. Auf diese Weise lebt ein guter Mensch ohne Reue. Aber ich bin schlecht und habe viele Verbrechen begangen und mich nicht dagegen ausgesprochen. Bis heute, Junge, dir gegenüber. Dir zu sagen, daß ich meine letzte Vergebung erfunden habe, um leben zu können.
    Ich habe sorgfältig über mein verbrecherisches Leben nachgedacht. Und ich bin zu dem Ergebnis gelangt, daß ich büßen muß, und die einzige Möglichkeit, dies zu tun, besteht darin, den Geist eines Gedichtes zu beachten, das auf einem alten Foto von mir geschrieben steht, verfaßt von einem großen Dichter und Patrioten, bevor er starb - von Yeats. Dieses Foto habe ich deiner Mutter gegeben, Neil.
    »Ertränkt alle Hunde! « heißt es in diesem Gedicht. Mir scheint, dies bedeutet, daß das Töten und der Haß - das Kriegführen -irgendwo im Verlauf der Geschichte auf hören muß, und daß die Aufgabe, dies alles zu ertränken, zu Recht demjenigen zufällt, der die meisten Verbrechen begangen hat. Verstehst du?
    Ich muß die Hunde des Krieges ertränken, die ich geschaffen habe, die alten wie die neuen. Die ganze verfluchte Meute von schlafenden Hunden - in der Polizei und im Klerus und in der Wirtschaft, hier in Irland und überall sonst, wo wir sind. Sie alle ertränken! Es ist die einzige Möglichkeit. Verstehst du?
    Mir bleibt jetzt nicht mehr viel Zeit, Neil. Mein letzter Tag ist nah, und die Mächte des Bösen stehen gegen mich. Mein Bruder Liam ist der Wichtigste unter ihnen...«

    Er drehte den Kopf zur Wand, gerade so als wolle er an dem unsichtbaren Fenster die Morgenwärme spüren.
    Es war deutlich nach Mitternacht in den finstersten Stunden des frühen Sonntags, doch die Tageszeit besaß für ihn keinerlei Bedeutung. Ein sparsames Lächeln spielte auf seinem Gesicht, während er in seinem Bett lag, ein Bett, das viel zu groß für ihn allein war. Ich legte meine Hand auf seine. Er ließ sie dort auf seiner pergamentenen Haut ruhen.
    »Was genau haßt du?« wollte ich wissen.
    Er holte tief Luft, und seine blinden, blauen Augen schlossen sich. Dann zitierte er abermals jene Stellen, die er einst immer wieder gelesen und die sich in sein Gedächtnis eingegraben hatten: »Aus Irland sind wir hervorgegangen; viel Haß, wenig Raum, verstümmelt von Anbeginn los... Ich besitze ein fanatisches Herz aus meiner Mutter Schoß.«
    Wo ich doch eine Reaktion hätte zeigen sollen, folgte nur Stille, ein betretenes Schweigen, das einem älteren Mann verrät, von einem jüngeren nicht verstanden worden zu sein. Seine nutzlosen Augen flackerten auf, und mit einem Anflug von Verzweiflung sagte er: »Es ist die Wurzel dieses Wahnsinns, die zu hassen ich gelernt habe, und es sind alte Männer an ihren Fenstern, die ich sogar noch mehr hasse.« Dann schob er meine Hand fort. »Und jetzt geh!« Das war für den Augenblick alles, ob ich das nun verstand oder nicht. Er brauchte Ruhe.
    Ich ging zur Tür und öffnete sie, drehte mich aber noch einmal zu ihm um. Er schien das zu spüren. Er hob den Kopf ein bißchen über den Berg von Decken und sagte: »Ich möchte, daß du mich nicht vergißt, wenn ich tot bin.«
    »Habe ich das jemals?«
    Ich trat auf den winzigen Flur vor dem Mansardenzimmer meines Vaters, wo mein Großvater Cor McGing mit einem Rosenkranz in den Händen auf mich wartete.
    Vom Fußende der Treppe kam der Knall eines Schusses aus einer kleinkalibrigen Waffe.
    Und das Geräusch eines stürzenden Mannes.
    Dann polterte jemand die Treppe herauf zu McGing und mir.
    Ein Mann in einem schwarzen Anzug und mit Hut, eine Pistole in der Hand.

46

    »Aus dem Weg, Junge!«
    Er drängte sich an mir vorbei, stieß mir den heißen Lauf der Pistole in die Rippen, die er gerade abgefeuert hatte. Dies war nicht der kraftvollste Stoß, den ich je einstecken mußte, doch ich stürzte, wie

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