Ertränkt alle Hunde
wollte.
»Hock, es wird Zeit zu gehen«, sagte Ruby.
»Die Lady hat ja so recht«, sagte Keegan.
Wieder stellte ich die unschuldige Frage. »Was sind seine politischen Ansichten?«
»Wessen politische Ansichten möchten Sie denn kennen?«
»Boylans.«
»Francie Boylan«, sagte Keegan und faltete die Hände, »repräsentiert unsere lebende und sterbende irische Geschichte.«
»Was heißen soll -?«
»Boylan war ein Fanatiker. Wie Vater immer zu mir sagte: »Fanatismus wird geschützt durch Unwissenheit und ist von daher unwiderlegbare Und was ist mit Ihrem Vater, Hockaday?«
»Das haben Sie mich schon mal gefragt. Und ich habe Ihnen geantwortet, er ist im Krieg gefallen.«
»Das haben Sie.«
»Wir sind hier fertig«, sagte ich und erhob mich. Ruby stand auf und nahm meinen Arm. Wir gingen zur Tür.
»Nur eine Sache noch«, sagte Keegan.
Ich drehte mich um und sah ihn an. Er lächelte wieder.
»Fast hätte ich’s vergessen«, sagte Keegan. »Als ich mit New York telefoniert habe, mit Ihrem Inspector Neglio geplaudert habe, da hat er mich gebeten, Ihnen eine traurige Nachricht zu übermitteln.«
»Welche Nachricht?«
»Es geht um einen Freund von Ihnen, sagte der Inspector. Einen Priester namens Timothy Kelly...« Keegan unterbrach sich, um meine Reaktion zu studieren, dann fuhr er fort: »Armer Kerl. Wie es scheint, hat er sich das Leben genommen.«
Keegan hätte mich genausogut bewußtlos schlagen können. Er fragte: »Möchten Sie telefonieren?«
»Danke, nein, nicht hier«, brachte ich heraus.
»Hätte ich mir denken können.« Keegan erhob sich hinter seinem Schreibtisch und kam zu uns, wobei die Bodendielen unter dem Gewicht seiner Schritte knarrten. Er bot mir seine Hand an, war plötzlich genauso voller brüderlicher Hochachtung für einen amerikanischen Berufskollegen, wie seine Bemerkungen erst einen Augenblick zuvor voller zweideutigen Argwohns gewesen waren. »Tut mir leid, Ihnen Schwierigkeiten bereitet zu haben, Hockaday.«
»Ich habe das Gefühl, daß sie gerade erst angefangen haben.« Ich ignorierte Keegans ausgestreckte Hand.
»Sie werden also im Haus Ihres Onkels in Dún Laoghaire wohnen?«
»Steht das nicht auf meiner Einreiseerklärung? Die werden Sie doch wohl gelesen haben.«
Keegan lächelte nur.
»Falls ich die Stadt verlasse, werde ich es Sie vielleicht wissen lassen«, sagte ich.
»Die Dublin Garda wird diese Rücksichtnahme zu schätzen wissen.«
»Die die Garda auch in direktem Verhältnis zu der mir erwiesenen Kooperation erhalten wird.«
»Und welche Art von Kooperation könnte ein unschuldiger Besucher der Grünen Insel wohl benötigen?«
»Sie zeigen mir, was Sie haben, Chief, und ich zeige Ihnen, was ich habe.«
Wir ließen ihn mit ernstem Gesicht mitten in seinem kuscheligen Büro stehen.
Draußen auf der Straße und ein gutes Stück entfernt vom Präsidium der Garda fragte Ruby: »Was in aller Welt ist da gerade abgelaufen?«
Ich griff in meine Tasche und zog das Medaillon heraus, das Father Tim mir am Tag zuvor gegeben hatte. Sollte es mich vielleicht gegen ein solches Schicksal beschützen, wie es Francie Boylan widerfahren war? Ich hielt es auf meiner Handfläche und sah es mir noch einmal an, die Initialen H. O. S. und die Fasces auf der einen Seite. Ich sah es an, als erwarte ich, daß das Ding zu mir sprach. »Behalte das hier immer in der Tasche, solange du auf der anderen Seite bist, Neil. Und um deines Lehens mit Ruby Flagg willen vergiß nicht, daß es da ist, wenn du es brauchst.«
Ich schloß die Augen, erinnerte mich an das Bild von Father Tim in der Holy Cross, als er sein Bittgebet an den heiligen Judas verrichtete, und der später mit Tränen in den Augen im Fond des Taxis saß; erkannte darin mein Versagen, dem verzweifelten Lebewohl eines alten Freundes Beachtung zu schenken. Und meinen Verrat an ihm und auch an Davy Mogaill, als ich mich erinnerte, mich ebenfalls gefragt zu haben: Kann man seine Freunde jemals wirklich verstehen?
Als ich Ruby jetzt keine Antwort gab, fragte sie: »Du siehst aus, als würde dich etwas quälen, Hock. Was ist los?«
... Wieder kam die geträumte irische Stimme durch die Zeit, sagte mir, nicht daran zu denken, wie Father Tim vielleicht gestorben war, sondern wie er zeit seines Lebens meine Naivität geprägt hatte. Und erinnerte mich an die beiden irdischen Dinge, die er am meisten liebte: die Politik und das Kino, die, wie er immer witzelte, letzten Endes ein und dasselbe waren. »Warte ab, ob nicht
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