Ertränkt alle Hunde
Zeitung beschrieb die Welt in ihrer üblichen prekären Lage. Wohlhabende Nationen steckten unterschiedlich tief in ökonomischer Rezession, andere befanden sich in einer ausgewachsenen Depression - oder im Bürgerkrieg. Und überall behaupteten Kriminelle und Schwachköpfe, den Weg aus dem Chaos zu kennen. Dies waren die Führer von Nationen, und ihre Anhänger schienen sie ernst zu nehmen.
Ich blätterte zu Seite zwei weiter. Ein Artikel über das Trinity College erinnerte mich, daß dies der geeignete Ort für meine heutigen Nachforschungen sein würde, da ich wußte, daß mein Vater dort studiert hatte. Ich faltete die Zeitung, um später weiterzulesen. Dann notierte ich Trinity College in einem Teil des Heftes, in dem ich eine Menge leere Seiten für Einträge zu Aidan Hockaday reserviert hatte, von denen ich mehr als nur diffus ahnte, daß sie sich als zentral für alle anderen herausstellen würden.
Während der Bus über die Hafenroute nach Dublin holperte und ich einen Krampf in der Hand von der Anstrengung bekam, meine Notizen leserlich zu halten, skizzierte ich im Verlauf der folgenden Viertelstunde die wesentlichen Elemente des Falles, so wie ich sie sah. Im Zentrum standen einige scheinbar zusammenhanglose Ereignisse: Father Tims Selbstmord, Davy Mogaills Verschwinden, der Mord an Francie Boylan. Drumherum ergaben sich jede Menge konfuser Fragen und unangenehmer Eindrücke. Und meine Mutmaßungen; darunter an erster Stelle die Vermutung, daß noch mehr passieren würde.
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie bei Ihrer Arbeit unterbreche... «
Ich schaute von einem Notizbuch auf und über den Gang des Busses zu einem Mann etwa in meinem Alter, der mich angesprochen hatte. Er trug Anzug und Hut eines Geschäftsmanns, runde Nickelbrille und einen kleinen schwarzen Schnäuzer, der so ordentlich war, daß er mehr aussah wie mit Fettstift gemalt statt wie gestutzte Barthaare. Auf einer ledernen Aktentasche, die er auf seinen Knien balancierte, lag der aufgeschlagene >Irish Guardian<.
»Ich frage mich«, fragte er, »ob Sie wohl Amerikaner sind?«
»Ja«, antwortete ich und wünschte sofort, ich hätte es nicht getan.
Sein Schnäuzer verzog sich zu einem feinen Strich, als er nun lächelte. »Dachte ich’s mir doch... «
Ich vermute, drauf hätte ich etwas erwidern sollen, doch statt dessen widmete ich mich wieder meinen Notizen.
»Eigentlich war es Ihre Kleidung«, sagte Schnäuzer.
Ich trug eine Baumwollhose, einen Nylonblouson mit dem Logo einer Bowlingbahn in New Jersey auf dem Rücken, einen Baumwollpullover, eine Yankees-Kappe und meine PF Flyers.
In Irland ist dies nicht gerade die übliche Kleidung für Männer in der Mitte ihres Lebens, wurde mir mit einem Mal klar. Ich schaute wieder zu Schnäuzers Grinsen auf.
»Und Ihre Zähne«, sagte er. »Die strahlen so.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ihre amerikanischen Zähne - immer strahlend weiß.«
»Ich verstehe. Danke.«
»Und Ihr Name ist womöglich Hockaday?«
»Womöglich.«
»Dann hab ich’s, jawohl.« Er beugte sich vor und fixierte mich durch seine Brille. »Ich bin nicht sicher, ob ich Sie allein nach Ihrem Bild wiedererkannt hätte.«
»Meinem was -?«
»Nun, hier drin«, sagte er und tippte auf die Zeitung. Er warf einen Blick auf meinen >Guardian<, der zusammengefaltet neben mir lag. »Oh... ich verstehe. Sie wissen nichts davon. Tut mir leid, Sir... Bitte, entschuldigen Sie... «
Schnäuzer stand auf, genauso unbeholfen, wie er gerade gesprochen hatte, und ging zu einem anderen Platz. Dort tuschelte er sofort mit einer Frau, und jetzt reckte sie den Hals zu mir, um mich ebenfalls ausgiebig zu mustern.
Ich nahm meinen >Guardian< und blätterte ihn durch, bis ich die Seite fand, auf der ausschließlich die Story des Mordes an Francie Boylan ausgeschlachtet wurde. Es gab noch einen kleineren Begleitartikel, verziert mit meinem Foto als junger Polizist, das an dem Tag aufgenommen worden war, als ich die New York Police Academy erfolgreich beendet hatte. Ich las diesen kürzeren Artikel:
O’Connell Street Massaker:
Garda verhört amerikanischen Detective & Schauspielerin
von Oliver Gunston
Zwei amerikanische Touristen aus New York City -ein Police Detective namens Neil Hockaday und eine Bühnenschauspielerin namens Ruby Flagg - spielen eine bedeutende und mysteriöse Rolle in dem spektakulären Mord vom Vortag an Francis »Francie« Boylan, einem langjährigen hiesigen Sympathisanten der in Ulster operierenden Irish Republican
Weitere Kostenlose Bücher