Ertränkt alle Hunde
auch das letzte Mal. Ich persönlich war nur froh, daß Slats genug Verstand besessen hatte, ein Uraltfoto von mir an den >Irish Guardian< zu faxen, da ich annahm, daß sie es von ihm hatten. Es würde mir das Leben in Dublin leichter machen, wenn ich mich, abgesehen von meiner Kleidung und meinen strahlend weißen Zähnen, relativ unerkannt bewegen konnte.
Als ich dann über diese Publicity sorgfältig nachdachte, schrieb ich eine weitere konfuse Frage auf: Könnte es im unfreundlichen Interesse von jemandem hier liegen, daß ich erkannt werde?
23
»Moira?«
»Aye —?«
»Darf ich reinkommen?«
»Falls Sie Ihren Morgentee wollen, werden Sie’s wohl müssen. Auf gar keinen Fall werd ich so früh am Tag Kannen die Treppe rauf und runter schleppen, Miss Aufgeblasen.« Moira schniefte verächtlich und machte eine große Schau daraus, einen Kessel kochendes Wasser vom Herd zu nehmen und es in eine braune Teekanne zu gießen. Sie mochte zwar hier die Dienstmagd sein, aber die Küche war ihr Reich, bei Gooott. Mitten in der zweiten Hälfte der morgendlichen Verlesung der jüngsten Sterbefälle schaltete sie das Radio aus. Dann schnalzte sie mit der Zunge und sagte: »Wie kommen die nur darauf, daß wir den Tag beginnen wollen zu hören, wer von den Nachbarn in der vergangenen Nacht gestorben ist! So was ist doch deprimierend!«
»Ja - zumal heutzutage nur ziemlich wenige Seelen in die himmlische Herrlichkeit eingehen«, sagte Ruby und ging die wenigen Stufen in die Küche hinunter. Sie hatte sich Hocks Tip gemerkt, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit in Predigerjargon zu verfallen, und auch, welchen auftauenden Effekt es auf Moiras Frostigkeit hatte. Sosehr es ihr auch gegen den Strich ging, sah Ruby doch die pragmatische Seite von Hocks Rat. Moira hatte den Kopf seitwärts geneigt, als mustere sie liebevoll eine Ewigkeiten nicht mehr gesehene Schwester. Und was hatte es Ruby schon gekostet, ihren Köder mit einer einzigen abgedroschenen Improvisation auszuwerfen?
»Kommen Sie«, sagte Moira, lächelte ihr tapferes Lächeln und bedeutete Ruby, sich an denselben Metzgerblock zu setzen, an dem Hock ungefähr zwei Stunden zuvor gefrühstückt hatte. »Nach Ihren Gotteslästerungen von gestern abend hätte ich nicht gedacht, daß Sie tatsächlich religiös sind.«
»Mein Mangel an Religion hat nichts zu tun mit der Tatsache, daß ich genauso gläubig bin wie Sie, Moira.«
»Also, ich dachte ja nur - «
»Ist Ihnen schon mal aufgefallen, wie viele religiöse Menschen glauben, sie würden denken, wenn sie doch nur an ihren Vorurteilen basteln?«
Jetzt war die arme Moira wirklich verwirrt. In ihrem Leben bedeutete Unterhaltung meist nur einseitige Wortwechsel zwischen Liam und ihr oder Snoody und ihr, und meistens dienten sie nur dem einen Zweck, die leiblichen Bedürfnisse der beiden Männer zu befriedigen. Bei einem solchen Diskurs mußte keiner der Beteiligten groß nachdenken. Moira hatte angenommen, diese Unergiebigkeit entspreche eben dem Lauf der Welt auch außerhalb des prächtigen Hauses in der Ladbroke Street. Ganz sicher hatte sie es an den wenigen anderen Orten, an denen sie je gewesen war, nicht anders kennengelernt. Aber hier war diese Frau - diese Amerikanerin, diese schwarze Frau! - und sprach mit ihr, als besäße sie den Verstand eines Mannes. Und was hatte sie da gerade über Vorurteile gesagt?
Ruby bemerkte die Qualen des Denkens auf Moiras käsigem Gesicht. Sie setzte sich an den Tisch, schaute kurz auf ihre Armbanduhr und sagte zu Moira: »Jetzt ist es doch tatsächlich schon nach neun. Ich weiß ja, daß Hock nach Dublin gefahren ist, aber wo stecken die anderen?«
»Ich hab es hier mit zwei alten Männern zu tun, die beide schon vor vielen Jahren ihren Schwung verloren haben. Daher wird in diesem Haus spät auf gestanden.«
»Perfekt. Dann können wir beide ja ungestört plaudern - nur wir Mädchen.«
Moira strich mit einer Hand über ihr Haarnetz. Etwas Farbe schlich in ihr Gesicht. »Du liebe Güte, Mädchen bin ich schon nicht mehr genannt worden seit damals auf dem Land, als meine Beine noch schlank waren wie Schilfrohr«, sagte sie.
»Sie Glückliche«, meinte Ruby. »Meine Beine waren nie schlank.«
»Ach was, Sie sind immer noch ein gertenschlankes junges Ding.« Moira stellte Sahne und Zucker auf den Tisch und schenkte Tee in Rubys Tasse. »Wie wär’s mit ein bißchen soda bread ?« fragte sie. »Es ist heute morgen ganz frisch. Und nicht vergessen, ich mach meine
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