Erwachende Leidenschaft
of Williamshire eine Eskorte befohlen, die dich nach England begleiten soll.«
»Ich will hier nicht fort, Ehrwürdige Mutter. Wirklich nicht.«
Die Furcht in Alesandras Stimme rührte das Herz der Oberin. Für einen Moment vergaß sie all die Missetaten, in die Prinzessin Alesandra in den letzten Jahren verwickelt war, und erinnerte sich nun wieder an die Verletzbarkeit und die Angst in den Augen des kleinen Mädchens, als es damals mit seiner kranken Mutter angekommen war. Alesandra war noch so schrecklich jung gewesen, gerade zwölf, und ihr Vater war sechs Monate zuvor gestorben. Und doch hatte sie gewaltige Kraft gezeigt und sich Tag und Nacht um die Pflege ihrer Mutter gekümmert, obwohl es nicht einmal auch nur einen Hoffnungsschimmer gab, daß die Frau je wieder gesund werden würde. Die Krankheit fraß ihren Körper und ihren Geist auf. Am Ende, als die Schmerzen sie wahnsinnig machten, war Alesandra ins Krankenbett ihrer Mutter geklettert, hatte die zerbrechliche Frau in ihre Arme genommen und sie sanft gewiegt. Dabei hatte sie ihr mit engelhafter Stimme Balladen vorgesungen. Es war fast schmerzlich schön gewesen zu beobachten, wie sehr das Kind seine Mutter geliebt hatte. Und als die Qualen endlich ein Ende hatten, war die Mutter in den Armen ihrer Tochter verschieden.
Alesandra hatte sich von niemandem trösten lassen. Allein in ihrer Zelle weinte sie in den Stunden der Nacht, und durch die weißen Vorhänge ihres Bettes im großen Schlafsaal drangen ihre Schluchzer zu den Postulantinnen.
Ihre Mutter war hinter der Kapelle in einer wunderschönen, blumengesäumten Gruft begraben worden. Alesandra konnte den Gedanken nicht ertragen, ihre Mutter zu verlassen. Und obwohl das Grundstück des Klosters an Stone Haven, den zweiten Wohnsitz der Familie, grenzte, machte Alesandra dort nicht einen einzigen Besuch.
»Ich habe gedacht, ich würde für immer hierbleiben«, flüsterte sie jetzt.
»Du mußt es als dein Schicksal ansehen, das nun seinen Lauf nimmt«, riet die Oberin. »Ein Kapitel deines Lebens ist abgeschlossen, ein anderes wird nun aufgeschlagen.«
Wieder senkte Alesandra den Kopf. »Ich würde aber lieber alle Kapitel hier verbringen, Ehrwürdige Mutter. Sie könnten doch die Bitte des Duke of Williamshire ablehnen oder ihn so lange mit Korrespondenz hinhalten, bis er mich vergessen hat.«
»Und der General?«
Alesandra hatte schon eine Antwort parat, was dieses Problem betraf. »Er würde es nicht wagen, in ein Heiligtum einzudringen. Ich bin sicher, solange ich hierbleibe.«
»Ein Mann, den es nach Macht gelüstet, wird sich nicht darum kümmern, ob er gegen die heiligen Regeln eines Klosters verstößt, Alesandra. Ganz sicher wird er hier eindringen. Im übrigen – hast du nicht bemerkt, daß du vorschlägst, deinen Vormund zu betrügen?«
Die Stimme der Nonne klang vorwurfsvoll. »Nein, Ehrwürdige Mutter«, antwortete Alesandra mit einem kleinen Seufzer. Sie wußte nur zu gut, was die Oberin hören wollte. »Ich vermute, es wäre nicht richtig, jemanden zu täuschen …«
Die Nonne schüttelte den Kopf über Alesandras sehnsuchtsvolle Stimme. »Ich werde dich da nicht unterstützen. Selbst wenn es einen wichtigen Grund gäbe …«
Diese Chance ließ sich Alesandra nicht entgehen. »Aber es gibt einen!« sagte sie begeistert. Sie holte tief Luft und verkündete: »Ich habe beschlossen, Nonne zu werden!«
Allein der Gedanke, daß Alesandra sich in ihre heiligen Rituale einfügen, wollte, sandte einen kalten Schauder über den Rücken der Oberin. »Der Himmel möge uns beistehen«, murmelte sie.
»Es waren die Bücher, nicht wahr, Mutter? Sie wollen mich wegschicken wegen dieser kleinen … kleinen Manipulation.«
»Alesandra …«
»Ich habe ja nur deshalb einen zweiten Satz Bücher angefertigt, damit der Bankier Ihnen die Anleihe gibt. Sie wollten ja mein Vermögen nicht nehmen, und ich wußte doch, wie sehr Sie die neue Kapelle brauchten … nach dem Feuer und so. Und schließlich haben Sie das Geld bekommen, oder? Gott hat mir diesen Betrug bestimmt verziehen. Er muß gewollt haben, daß ich die Zahlen auf den Konten ändere, ansonsten hätte Er mir doch nicht so ein Talent zum Rechnen geschenkt. Nicht wahr, Mutter Oberin? Tief in meinem Herzen weiß ich, daß Er mir diesen kleinen Trick verziehen hat.«
»Trick? Ich denke, das richtige Wort ist Diebstahl!« fauchte die Oberin.
»Nein, Ehrwürdige Mutter«, berichtigte Alesandra sie. »Diebstahl bedeutet, etwas wegzunehmen,
Weitere Kostenlose Bücher