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Erwacht

Erwacht

Titel: Erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Shirvington
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hochzuziehen.
    Ich stand auf und nahm ihm den Pinsel aus der Hand. »Ist es okay, wenn ich sage, dass ich absolut keine Ahnung habe, wovon du sprichst?«
    »Das wirst du schon noch«, sagte er leise und ging in Richtung Küche, bevor ich sein Gesicht sehen konnte.
    Nachdem er mir geholfen hatte, die Pinsel sauberzumachen, und ich ihm geholfen hatte, die Küche aufzuräumen, schnappte ich mir meine Tasche und er schnappte sich gleichzeitig seine Schlüssel, dabei nahmen wir uns beide kurz Zeit, um uns gegenseitig anzulächeln. Ich mochte, was wir da hatten – was immer das war. Wir brauchten keine Worte; wir hatten unsere eigene kleine Routine. Ohne zu fragen, wusste ich, dass er mich nach Hause fahren würde, und er wusste, ohne zu fragen, dass ich ihm das erlauben würde.
    Als er sein Allradantrieb-Auto vor unserem Wohnblock zum Stehen brachte, stellte er den Motor ab und wandte sich mir zu.
    »Es geht mir gut«, sagte ich, bevor er fragen konnte.
    Er nickte und lächelte finster. »Gehst du morgen früh laufen?«
    »Ich bin schon früh mit Steph zum Shoppen verabredet.«
    Zum ersten Mal war ich froh, dass ich eine gute Ausrede hatte, keinen Zehnkilometerlauf zu machen.
    Lincoln stieß ein mildes Gelächter aus. »Aha, Geburtstags-Shopping.«
    »Ja, aber fang gar nicht erst an damit. Ich verlasse mich darauf, dass der Tag ohne irgendwelche besondere Aufmerksamkeit von deiner Seite vorübergeht.«
    »Ich verspreche dir, dass ich noch nicht mal freundlich zu dir sein werde.«
    Er log.
    »Gut«, sagte ich, was ebenfalls gelogen war.

KAPITEL FÜNF
    »Bist du bereit für dein Schicksal?«
    WILLIAM SHAKESPEARE
     
    »Es wird Zeit, dass du es erfährst.« Die Worte hingen in der Luft, sie umgaben mich förmlich, noch bevor sie mich erreichten.
    »Dass ich was erfahre?«, fragte ich, denn mir fehlte der Zusammenhang.
    »Wer du bist.«
    Der Mann in meinem Traum kam auf mich zu. Ich erkannte ihn nicht, aber er kam mir bekannt vor. Sein Gesicht schien um eine ausgeprägte Kieferpartie herum angelegt zu sein. Ich hätte gesagt, er sei gut aussehend, wenn da nicht seine Augen gewesen wären. Sie waren so distanziert. Durch sie wirkte er anders, entrückt.
    »Und wer bin ich?«
    Ich trug Jogginghosen und ein ehemals weißes T-Shirt, das jetzt eher einer Farbpalette ähnelte. Vor mir stand eine Staffelei mit einer Leinwand. In der Hand hielt ich einen Pinsel.
    »Du bist du und du bist ich. Du bist der Keshet.«
    Er stand am Fenster meines Ateliers und schaute hinaus zum bewölkten, grauen Himmel. Er schien enttäuscht zu sein von dem, was er sah. Für mich war das normal. Das Wetter in meinen Träumen ist immer ein bisschen trist.
    »Ich bin du?« Meine Stimme hallte wie eine Glocke. Meine Worte schienen, genau wie seine, unsichtbar und schwerelos zwischen uns zu schweben.
    »Teilweise. Aber du bist zum Teil auch menschlich.«
    Meine Hand strich abwesend über die Leinwand.
    »Du bist nicht menschlich?« Es roch nach Blumen. Ich kannte diesen Duft gut. Ich liebte Lilien, vor allem weiße. Sie waren stark und schön. Ich hatte mich immer von ihnen angezogen gefühlt.
    »Nein.«
    »Was bist du dann?«
    Er glitt auf mich zu. Ich kam gar nicht auf die Idee, auszuweichen.
    »Die Frage ist nicht, was wir sind, sondern vielmehr, was aus uns werden wird.«
    Er streckte seine Hand aus, den Zeigefinger erhoben.
    »Was machst du da?«, fragte ich.
    »Ich erwecke dich!« Sein Finger verwandelte sich in eine löwenartige Kralle und schlug nach mir. Ich stolperte zurück.
    Dann war er weg. Meine Hand umklammerte noch immer den Pinsel. Vor mir ein Farbklecks. Oben Rot, gefolgt von Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Er erinnerte mich an … einen Regenbogen.
     
    I ch wachte auf und war ein paar Sekunden lang völlig desorientiert. Ich drehte mich um, um auf meinen Wecker zu schauen – es war ein Uhr nachts. Jetzt war ich offiziell siebzehn. Mein erstes Geschenk war offensichtlich ein Ausflug in die Welt der verrückten Träume. Ich wälzte mich zurück und steckte meinen Kopf zwischen zwei Kissen. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Violet.«
    Als ich am Morgen wieder aufwachte, tat mir die Schulter weh. Instinktiv griff ich danach, dann sog ich den Atem ein und setzte mich kerzengerade auf. Ich berührte den entzündeten roten Kratzer mit dem Finger. Er war höchsten zwei oder drei Zentimeter lang, aber er war rau und nässte und tat höllisch weh. Bilder aus meinem Traum kamen mir wieder in den Kopf. Das konnte nicht sein.

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