Erwarte mich in Paris (German Edition)
mein Gesicht sah. „Bitte! Komm morgen vorbei. Es ist wichtig.“
Wieder wurde sie still. Sie nippte umständlich an ihrem Espresso. „Weißt du, dieses Geschäft ist kurzlebig. Wenn du nicht bei Alain auftauchst, ist das ein Grund, mich zu feuern. Man ist so leicht ersetzbar.“
Sie hob den Blick und sah mir in die Augen. Das erste Mal hatte ich das Gefühl, den Menschen hinter der wortsprudelnden Fassade zu erkennen. Ich sah ihr fein geschnittenes Gesicht, ihren kleinen Mund. Ihre blauen Augen flehten.
„Vielleicht stehen dir die Kleidungsstücke ja gar nicht. Vielleicht hat es sich mit der Anprobe schon erledigt. Aber es würde so viel für mich bedeuten. Weißt du, man wartet nur darauf, dass ich einen Fehler mache. Bitte!“ Ihre Finger begannen auf dem Tisch herum zu klopfen, während sie in ihre lächerlich kleine Tasse sah. Ihre Nervosität war greifbar. Ich spürte sie, wie eine zitternde Welle, die zu mir rüberschwappte.
„Okay. Ich werde kommen.“ Rang ich mir ab.
„Danke, ich danke dir … Oh, ich weiß gar nicht, wie du heißt.“
„Nikola. Nikola Č erve ň ákowi
“, antwortete ich schnell.
„Oh je“, sie zog ein Notizbuch heraus. „Könntest du mir das buchstabieren?“
Ratlos sah ich sie an.
„Ach, schreib mir deinen Namen doch einfach selbst hier rein.“ Sie schob mir Stift und Büchlein über den Tisch. Reflexartig griff ich danach und stieß dabei meinen Kaffee um. Die schon kalte, braune Flüssigkeit ergoss sich auf das weiße Tischtuch.
„Oh, nein.“ Christin zog das Buch zurück. „Was für ein Unglück. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wichtig dieses Büchlein ist. Hier stehen unbezahlbare Adressen und Telefonnummern drin. Schnell tupfte sie die Seiten mit einer Serviette trocken.
„Entschuldige“, sagte ich im Brustton der Überzeugung. „Ich werde morgen da sein. Keine Sorge.“
„Sehr schön. Aber nur für den Fall der Fälle, wo finde ich dich?“
„Ich bin unter Toms Telefonnummer zu erreichen“, antwortete ich.
„Du wohnst mit Tom zusammen?“ Ein süffisantes Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Dachte ich mir schon, dass Tom anders ist. So einen guten Geschmack hatte ich ihm jedoch nicht zugetraut.“
„Nein, nein“, entgegnete ich schnell. „Ich wohne nur bei ihm. Er hilft mir, da ich gerade …“ Ich verstummte. Was sollte ich auch sagen? Dass ich gerade keine Wohnung, kein Leben, keine Daseinsberechtigung hatte?
„Dann wäre der Job bei Alain doch ideal für dich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du gern bei Tom wohnst. Tom ist ein Arsch“, flüsterte sie mir zu und beobachtete mich dabei genau.
Ich nickte nur leicht.
„Ich kenne ja nur seine berufliche Seite … aber die ist wirklich übel. Wenn er nicht so viele einflussreiche Freunde hätte … aber was red ich da. Wenn das Wörtchen wenn nicht wär’. Also, ich muss jetzt los. Freut mich, dich kennengelernt zu haben, Nikola. Ich spendier dir den Kaffee. Kannst dich ja mal revanchieren.“ Sie zwinkerte mir zu. Dann begann sie in ihrer Handtasche herumzukramen. „Wo ist sie denn nur?“, murmelte sie und wurde mit jeder Sekunde nervöser. „Ich hatte sie doch vorhin noch …“
Einen Anflug von Schuldbewusstsein breitete sich in mir aus, während ich sie beobachtete. Dann stand ich auf, bückte mich hinter ihrem Stuhl, zog ihr Portemonnaie unbemerkt aus meiner Jacke und legte es vor ihr auf den Tisch.
„Es muss dir vorhin herausgefallen sein.“
„So ein Glück.“ Sie griff sich mit einer erleichterten Geste an die Brust. Dann öffnete sie ihre Geldbörse, sah einen Moment hinein und blätterte langsam die Scheine durch. Eine steile Falte entstand, als sie ihre hellen Augenbrauen zusammenzog. Ich beobachtete es mit einem seltsamen Unbehagen. Doch dann glättete sich ihre Stirn wieder. Sie hob ihren Blick und sah mich lächelnd an.
„Es war auf jeden Fall schön, mit dir zu reden. Man findet nicht mehr viele Menschen, die auch mal zuhören können.“
Die Entdeckung
Wie versprochen, stand ich am nächsten Tag, zur verabredeten Zeit, vor der Tür der Rue Étienne Marcel 52. Heute wurde ich sofort empfangen.
„Mir fällt ein Stein vom Herzen“, sagte Christin, als sie mir die Tür öffnete. „Komm rein, ich habe schon alles vorbereitet. Bis zuletzt hatte ich doch echt noch befürchtet, dass du mich sitzen lässt.“
Sie führte mich durch das große Atelier,
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