Erwarte mich in Paris (German Edition)
welches heute menschenleer war, und wies in einen voll gestellten Raum. Kleiderständer standen herum, an denen, neben der Garderobe, auch Fotos von den Models angepinnt waren, die diese tragen sollten. Sie griff nach einem Anzug und hielt ihn mir entgegen.
„Zieh den mal an.“
Angesichts der ausgefallenen Farbe wich ich unwillkürlich einen Schritt zurück.
„Komm schon, hab dich nicht so. Diesen Sommer ist Mandarin das neue Braun.“
Christin drehte sich dezent weg und gab vor, in den Kleiderständern nach etwas zu suchen, als ich mich auszog und in die leuchtend orange Hose stieg. Mandarin, dass ich nicht lache. Bei uns zu Hause trugen noch nicht einmal die Frauen solche quitschbunten Kleider. Das dunkelbraune Hemd war schon eher mein Geschmack. Als ich die Jacke zuknöpfen wollte, ging Christin dazwischen.
„Lass sie auf. Leger ist angesagt.“ Sie griff nach den Knöpfen meines Hemdes und öffnete sie wieder. „Alain sagt, die Hemden bleiben dieses Mal bis zum Bauchnabel offen. Und wenn er das sagt, ist es Gesetz.“
Sie trat einen Schritt zurück und musterte mich. „Sitzt perfekt. Alain hat einen guten Blick. Ich hätte gedacht, du bist zu breit für den Anzug … Ach, übrigens, ein Tipp, wenn du gleich zu ihm kommst, geh gerade durch den Raum, schau nach vorn auf die Wand, eine Hand in der Hosentasche. Geh bis vor seinen Schreibtisch, dreh dich um, lauf zurück und bleib, ihm zugewandt, an der Tür stehen. Das ist alles. Mehr musst du auf einer Modenschau auch nicht machen.“
Ohne auf meine Entgegnung zu warten, ging sie den Gang entlang zu dem hinteren Büro, vor dem ich gestern schon gestanden hatte. Christin wirkte heute aufgeregt und noch nervöser als gestern. Sie wies mich an, vor der Tür zu warten, durch die sie, nach kurzem Klopfen, allein eintrat.
„Er ist da, Alain, und du hattest, wie immer, recht.“
„Christin, wann hörst du auf zu zweifeln?“ Die Stimme des Mannes war angenehm tief und in ihrer Ruhe das genaue Gegenteil von Christin.
Diese öffnete nun die Tür und nickte mir lächeln zu. Ich trat ein und lief durch den Raum, auf den Schreibtisch zu, eine Hand lässig in der Hosentasche.
Nur eine von Christins Anweisungen war ich nicht imstande umzusetzen. Ich schaffte es nicht, auf die Wand zu schauen. Der Mann, der hinter dem Schreibtisch saß, nahm all meine Aufmerksamkeit gefangen. Ich konnte meinen Blick nicht von seinem markanten Gesicht lösen.
Warum das so war, konnte ich nicht sagen. Er faszinierte mich einfach. Seine grauen Augen, das lässig zurückgekämmte graue Haar, beides perfekt passend zu seinem grauen Anzug.
Und auch ihm schien es nicht anders zu gehen. Er sah mir, wie am Tag vorher, genau in die Augen. Fast so, als würde er gleich eine wichtige Frage an mich stellen.
Was würde er mich wohl fragen? Ein nervöses Kribbeln breitete sich in meinem Magen aus.
Kurz blieb ich vor dem Schreibtisch stehen. Das Kribbeln fuhr mir zu den Knien und ließ sie weich werden. Ob ich auch nur einen vollständigen Satz zustande brachte, wenn er jetzt diese Frage stellte?
Unsere Blicke waren so fest ineinander verwoben, dass es einem Kampf gleichkam. Gewaltsam riss ich mich los, lief zur Tür zurück und drehte mich wieder zu ihm um.
Eine Minute herrschte Stille. Christin neben mir raschelte zappelig mit ihrem Notizblock. Doch auch sie sagte nichts. Sie wartete, dass Alain sein Urteil verkünden würde.
„Nun“, der graumelierte Mann beugte sich über seine Unterlagen und begann zu schreiben. „Das scheint ja zu passen. Wie ist denn sein Name?“ Diese Frage richtete er nicht an mich, sondern an Christin.
„Nikola. Ähm… Nikola“, sagte sie leicht verunsichert.
„Falls Sie mich meinen, mein Name ist Nikola Č erve ň ákowi
“, sagte ich mit einem Anflug von Verärgerung. Er hatte mir gerade mit so einer Intimität in die Augen gesehen, dass ich seine jetzige Behandlung als Beleidigung empfand. Warum richtete er seine Frage nicht direkt an mich?
„Der Anzug geht in Ordnung. Lass ihn die Bademode anprobieren.“
„Bist du dir sicher, Alain? Er wäre der Einzige, der …“
„Danke, Christin. Ich habe den Ablauf der Show im Kopf und brauche deine Anmerkungen nicht.“ Er senkte den Kopf und begann wieder zu arbeiten, so, als wären wir schon gegangen.
Christin zupfte mich am Ärmel. „Komm“, flüsterte sie lautlos.
„Mach dir keinen Kopf. Er ist immer so“,
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