Erwarte mich in Paris (German Edition)
mir vorbei, dann hab ich den Vertrag fertig und wir machen dich haarlos wie einen Nacktmull, so wie Alain es sich wünscht.“
Sie grinste mich schelmisch an. „Vielleicht lädst du mich ja danach auf ein Glas Wein ein?“
Enthaarung
Ich erreichte Christins Wohnung über die Metrostation Porte de Choisy. Bevor ich in die Bahn eingestiegen war, hatte ich einem Touristen die Brieftasche aus der Gesäßtasche gezogen. Ich hatte Christins Bemerkung mit dem Glas Wein nicht vergessen. Sicher erwartete sie, dass ich sie später einlud.
Nachdem ich die Metrotreppe hochgestiegen war, fand ich mich in einer bewohnbaren Betonwüste wieder. Die Fassaden trister Hochhäuser schossen in den Himmel.
Aus diesem Grund konnte ich mir ein „Hier wohnst du also. Ich hatte mir das ganz anders vorgestellt“, nicht verkneifen, als Christin ihre Wohnungstür öffnete.
„Nicht jeder, der im Modebusiness arbeitet, kann sich eine schicke Altbauwohnung an der Seine leisten“, war ihre prompte Antwort. Ein Hauch von Unmut lag in ihren Worten.
„Entschuldige, so habe ich das nicht gemeint. Ich habe auch gar kein Recht, mir ein Urteil zu bilden.“
„Wieso, weil du selber keine Wohnung hast?“, fragte Christin spitz.
„Touché“, antwortete ich und lächelte sie um Verzeihung heischend an. „Außerdem habe ich mir ein Leben lang mit drei anderen Menschen einen Wohnwagen geteilt. Da wäre das luxuriöse Niveau, welches du hier hast, ein Traum gewesen.“ Ich warf einen Blick in die Runde. Ihr Apartment war zwar klein, aber geschmackvoll eingerichtet.
Neugierig sah Christin mich an. „Wohnwagen? Bist du etwa ein Zigeuner?“, griff sie mein Gesagtes auf.
„Wir bevorzugen den Begriff Roma“, sagte ich trocken.
„Jetzt muss ich mich wohl entschuldigen“, stotterte sie. „Ich hatte doch keine Ahnung. Du hast nie irgendwelche Andeutungen gemacht … Du kennst ja die Klischees … Ich dachte immer, ihr tragt goldene Ohrringe, dicke Goldketten und tretet in Horden auf. Wo ist denn deine …“
„Du meinst meinen Clan?“ Ich schluckte den Kloß runter, der sich bei diesem Thema in meinem Hals festsetzen wollte. „Keine Ahnung … auf jeden Fall nicht in Frankreich. Ich bin momentan sozusagen autonom. Brauchst also keine Angst haben, dass meine Brüder auftauchen und deine Wohnung in Beschlag nehmen oder meine Familie auf Blutrache sinnt, weil ich halbnackt über einen Laufsteg gehe und ganz Paris mir dabei zusieht.“ Ich zwang mir ein Lächeln ab.
„Na, wenn’s nur Paris wäre - die Show wird aufgezeichnet und weltweit ausgestrahlt. Haben wir jetzt vielleicht ein Problem?“
Ich schüttelte den Kopf. „Nein, sicher nicht. Ich habe mich von meiner Familie gelöst und alles, was daran erinnert, hinter mir gelassen.“
„Das freut mich“, Christin lächelte, sagte dann aber sofort, „missversteh mich nicht. Ich hatte nur Sorge, wegen der Art, wie du normalerweise deinen Lebensunterhalt bestreitest, wenn Tom dich nicht unterstützt.“
„Ich stehle nicht mehr“, platzte ich unvorsichtigerweise heraus. „Oder nur noch in Notfällen“, setzte ich leise nach.
„Aha“, sie zog die Augenbrauen hoch. „Dein Sinneswandel in allen Ehren. Sonst hätte ich doch noch meine ganzen Kreditkarten sperren lassen müssen.“
Wortlos zog ich die vorhin erbeutete Brieftasche aus meiner Jacke und legte ihr einen Zehn-Euro-Schein auf den Tisch. „Entschuldige. Ich wollte dich nicht bestehlen Es kommt auch nicht mehr vor. Wenn alles gut läuft, werde ich diese Art von Geldbeschaffung ja eh nicht mehr brauchen.“
Christin schob den Schein zurück. „Ich weiß die Geste zu schätzen. Ich hatte gewusst, dass du damals mein Portemonnaie genommen haben musstest. Behalte das Geld trotzdem. Weißt du, bis du die Gage erhältst, dauert es meistens zwei Monate. Bis dahin musst du noch irgendwie über die Runden kommen.“
Der Gedanke, dass ich weitere zwei Monate bei Tom in der Abstellkammer wohnen musste, ließ mich aufstöhnen.
„Ich kann es natürlich etwas beschleunigen. Ich will ja nicht, dass du rückfällig wirst und deine angehende Karriere aufs Spiel setzt.“
„Also, ich weiß nicht, ob das alles so eine gute Idee ist“, begann ich stockend. „Ich bin anders. Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich komme aus einer völlig anderen Welt.“ Mit einem Mal stürzten wieder all mein Leid, meine Einsamkeit und meine Ängste auf mich ein. Ich
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