Erwarte mich in Paris (German Edition)
die ein Leben lang wie eine Klette an mir hängt.“
„So schlimm ist heiraten doch auch wieder nicht. Du wirst danach deine Ruhe haben. Jedenfalls vor deinen Eltern und der Familie. Ob Sara dich in Ruhe lässt, wage ich jedoch zu bezweifeln“, kicherte er.
„Du hast gut reden. Warum bist du eigentlich niemanden versprochen?“
Piero wendete sein Gesicht ab, sodass dunkle Schatten auf seine Züge fielen. „Das hat sicher was mit meiner Herkunft zu tun …“
Es tat mir sofort leid, dieses Thema angesprochen zu haben. Natürlich wusste ich darüber Bescheid, wer sein Vater gewesen war. Seine ganze Kindheit über hatte man ihn deswegen verspottet. „Bastard!“, hatten die Kinder ihm hinterher geschrien. Während ich sie mir schnappte und verprügelte, saß Piero abseits und versuchte seine Tränen zu unterdrücken.
„Ich würde zu gern mit dir tauschen“, sagte ich.
„Glaub mir, dass willst du nicht wirklich“, antwortete er leise.
Ich fragte nicht weiter nach. Schweigend sahen wir ins Feuer. Leise Gitarrenklänge schwebten zu uns herüber und ich wünschte mir, Piero würde mich mehr an seinem Leben teilhaben lassen. Warum tat er immer so geheimnisvoll? Ich könnte ihm helfen, so wie früher, wenn ich nur wüsste, worum es ging.
Grübelnd strich ich mir über das Kinn, an dem sich schon wieder ein kratziger Bartschatten gebildet hatte. Auch das unterschied uns voneinander. Er war der glattgesichtige Schönling, während ich sein absolutes Gegenteil war.
Warum nur zog er sich so vor mir zurück? Wir konnten zusammen eine unbesiegbare Einheit bilden. Verärgert fuhr ich mit meinen Fingern durch meine widerspenstigen Locken und warf ihm einen resignierten Blick zu. Plötzlich begann Piero nervös neben mir hin und her zu rutschen.
„Eh, was ist denn?“, mehr brauchte ich nicht fragen. Schon entdeckte ich Pacos Gestalt, die sich aus der Schar Männer löste und auf uns zu steuerte. Schnell standen wir auf und senkten ehrfürchtig unseren Blick. Breitbeinig baute Paco sich vor uns auf. Seine schwarzen Augen hefteten sich auf Piero, während sein Schnauzbart zu zucken begann.
„Was treibst du dich schon wieder hier rum? Solltest du nicht unterwegs sein?“
Piero trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. „Ich war heute erfolgreich. Hab viel Geld verdient …“
„Ja, und?“, bellte Paco. „Heißt das etwa, dass du faulenzen darfst? Der Abend ist noch jung. Was nützt du uns hier? Du solltest dort sein, wo man dich braucht.“ Mit diesen Worten funkelte Paco ihn noch einmal wütend an. Dann wandte er sich ab und ging großspurig auf seinen Platz zurück.
Piero nahm die Sonnenbrille aus seinem Haar und setzte sie trotz der vorherrschenden Dunkelheit auf.
„Wie, du gehst wirklich noch mal los?“, fragte ich entgeistert.
„Du hast Paco doch gehört.“ Piero zuckte mit der Achsel.
„Kann ich wenigstens mitkommen?“
Piero sah mich einen Wimpernschlag lang an. „Bleib hier und kümmere dich endlich um deine kleine Sara. Da wo ich hingehe, hast du nichts verloren.“ Er drehte sich mit einer arrogant anmutenden Geste um und lief zwischen den Wohnwagen hindurch Richtung Straße.
Ich fühlte mich wie vor den Kopf gestoßen. Einen Moment blieb ich unschlüssig stehen, beobachtete die in mir tobenden Gefühle von Ausgeschlossen sein, Wut und quälender Neugier. Mit einem letzten Blick zum Lagerfeuer, wo mir keiner Aufmerksamkeit schenkte, stand ich auf und folgte ihm.
Als ich zwischen den Büschen hervortrat, entdeckte ich Piero etwa hundert Meter vor mir. Er lief, wie ich schon vermutet hatte, in Richtung U-Bahn. Vorsichtig, den Schatten der Straßenlaternen ausnutzend, folgte ich.
Ich stieg in einen der hinteren Wagons und setzte mich mit dem Rücken zu Piero. Jedes Mal, wenn die Bahn anhielt, lugte ich über meine Schulter, um sicher zu gehen, dass er nicht ausgestiegen war. So fuhren wir etwa eine halbe Stunde, bis Piero am Stachus die Bahn verließ.
Im gebührenden Abstand folgte ich ihm die Rolltreppe hinauf und blieb abrupt stehen, als er in der unterirdischen Ladenstraße anhielt, sich umschaute und neben einem Schaufenster an die Wand lehnte. Ich verbarg mich hinter einer der breiten Säulen und ließ ihn nicht aus den Augen. Ratlos beobachtete ich, wie er lässig dastand, einen Fuß an die Mauer hinter sich gestellt, während er die vorbeieilenden Passanten musterte.
Was machte er da? Auf wen wartete er?
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