Erwarte mich in Paris (German Edition)
Tanzpartner herum. Wie versteinert blieb ich stehen.
Ich hatte Piero schon oft tanzen sehen. Doch heute erwischte mich sein Anblick wie ein Faustschlag in der Magengrube. In meinem Inneren entwickelte sich ein Kampf. Mit all meinem Sehnen wollte auch ich tanzen, mich dieser Leidenschaft hingeben und vor allem Piero nahe sein. Doch ein anderer Teil von mir wollte weglaufen. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Ohne es zu merken, stellte ich einen Fuß vor den anderen. Als der Feuerschein heiß auf meiner Haut brannte, merkte ich erst, dass ich mich nicht für die Flucht entschieden hatte. Ich stand zwischen den Tanzenden und starrte Piero noch immer unverwandt an. Meine Freunde rempelten mich an, klatschten in ihre Hände, lachten mir ins Gesicht. Sara griff nach meinen Händen und versuchte mich zu sich zu ziehen und zum Tanzen zu bewegen. Doch ich blieb unbewegt stehen, unfähig auch nur einen Muskel zu rühren.
„Was ist?“, fragte Piero mit einem Auflachen, als er an mir vorbeitanzte. „Bist du zu Stein erstarrt?“
„Ich muss mit dir reden!“ Meine Stimme klang rau und war fast nicht zu hören.
Pieros Bewegungen erstarben. Als Lolita ihn am Arm fasste, schüttelte er den Kopf und entwand sich ihrem Griff.
„Ist was passiert?“, fragte er noch einmal.
Ich riss mich von seinen Augen los, die im Feuerschein wie Gold wirkten. Sie brachten mich um jeden klaren Gedanken. Schnell drehte ich mich um und verließ den Kreis des Feuers, zog mich zurück zwischen die gaukelnden Schatten und stützte mich zitternd an der Wand eines Wagens ab.
Was war nur los? Ich hatte recht daran getan, mich von Piero fern zu halten. Ich konnte es nicht ertragen, ihn anzusehen, ihm so nah zu sein und ihn doch nicht berühren zu können. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke begegneten, zerschnitt es mir das Herz. So etwas hatte ich vorher noch nie gefühlt. Wurde ich etwa verrückt?
„Geht es dir nicht gut?“ Piero war hinter mich getreten. Ich spürte seine warme Hand auf meiner Schulter. Diese Berührung durchzuckte meinen Arm wie ein elektrischer Schlag. Wie ferngesteuert drehte ich mich um. Sein Gesicht lag im Schatten und mit einem kurzen Gebet, dankte ich Gott dafür. Ich hätte es nicht ertragen, ihn so dich vor mir zu sehen. So nah - zum Berühren nah.
„Sag schon, Nikola!“ Seine Stimme drängte mich zu einer Antwort. Sie klang jetzt so anders als damals, als ich ihn auf dem dunklen Hof gehört hatte. Keine Sinnlichkeit schwang darin, nur Sorge und Anteilnahme.
„Ich … ich kann nicht mehr …“ Es brach aus mir heraus, ohne dass ich die Worte in meinem Kopf bewusst geformt hatte. „Ich … ich liebe dich!“
Ich hörte den Satz wie ein Echo nachhallen. War es echt oder bildete ich mir das Echo nur ein? Ich konnte es nicht sagen. Ich starrte in Pieros Gesicht, das von Schatten bedeckt war und wartete auf eine Reaktion.
Er räusperte sich, scharrte mit seinem Fuß im Staub. „Was redest du da?“
Ich hörte ein unsicheres Lächeln in seiner Stimme und hatte plötzlich Angst, dass er sich umdrehen und gehen würde.
„Ich … ich habe dich gesehen, damals in dem Hinterhof. Ich … ich weiß, was du jeden Abend tust.“ Meine Stimme bebte bei den nächsten Worten, „Piero, bitte! Tu das auch mit mir!“
Stumm stand er mir gegenüber. Sah mich nur an.
„Ich … schlaf mit mir.“ Schnell sprudelte mir der letzte Satz über die Lippen. Ich konnte es selbst nicht fassen, dass ich das gesagt hatte, aber nun war es raus. Das, was mir die letzten Tage schwer auf die Seele gedrückt hatte, war nun endlich ausgesprochen. Und ich meinte es wirklich ernst, das war mir in diesem Moment bedingungslos bewusst.
„Du weißt nicht, was du da sagst!“ Er klang dabei kalt und emotionslos. „Was fällt dir ein, mir so ein Angebot zu machen? Du hast doch keine Ahnung wovon du sprichst!“
Er drehte sich weg und ging. Einfach so verschwand er in der Dunkelheit. Und ich blieb mit all meinem Sehnen und aufgerissenen, wunden Herzen zurück.
Benommen begann mein Hirn wieder zu arbeiten. Er hatte wirklich recht, mit dem, was er gesagt hatte. Genauso wie es mein Vater auch gewusst hatte. Es schien mir auf der Stirn zu stehen, so dass es jeder, der mir ins Gesicht sah, lesen konnte: Ich hatte von Sex keine Ahnung. Ich war dumm, ungeschickt, unerfahren und peinlich. Genau das war ich und ich wünschte mir, der Erdboden würde unter mir aufreißen und mich verschlingen.
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