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Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)

Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)

Titel: Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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des Rathausplatzes ab, direkt beim H.-C. Andersen-Schloss, neben dem großen Baugerüst, genau wie immer. Marco hatte sicherheitshalber zwanzig Minuten gewartet, denn wenn der Wagen kam und man nicht dastand, fuhr der einfach ohne einen los. Wenn man dann die S-Bahn und den Bus nehmen musste, setzte es Prügel. Das wollte er nicht riskieren, und um auf einer feuchten Kellertreppe zu schlafen, war es zu kalt.
    Er nickte den anderen zu, die schon vorher eingesammelt worden waren und an den Innenwänden des Lieferwagens lehnten. Keiner nickte zurück, aber daran war er gewöhnt – schließlich waren sie alle todmüde. Müde vom Tag, müde von diesem Leben.
    Marco sah in die Runde. Zwei von ihnen zitterten ein bisschen, sie waren völlig durchnässt, und sie alle sahen aus, als wären sie krank, so mager, so verzagt.
    »Was hast du heute eingenommen?«, fragte Samuel, mit dem Rücken ans Fahrerhaus gelehnt.
    Marco dachte nach. »Ich hab insgesamt viermal Geld abgeliefert, beim zweiten Mal waren es über fünfhundert Kronen. Dreizehn- oder vierzehnhundert Kronen, glaube ich, alles zusammen, wenn man die dreihundert dazuzählt, die ich jetzt in der Tasche habe.«
    »Ich habe ungefähr achthundert«, sagte die Älteste aus der Runde. Miryam bekam immer viel, aber sie hatte ja auch ein verkrüppeltes Bein.
    »Ich hab nur sechzig«, sagte Samuel leise. »Mir gibt keiner mehr was.«
    Zehn Augenpaare sahen ihn mitleidig an. Zola damit unter die Augen zu treten würde kein Vergnügen werden.
    »Dann nimm die hier«, sagte Marco und gab ihm zwei Hundertkronenscheine. Er war der Einzige, der Samuel etwas abgab, und er konnte davon ausgehen, dass er dafür noch bei Zola verpetzt würde.
    Marco wusste, warum Samuel kaum Einnahmen hatte. Wenn man nicht mehr wie ein Kind aussah, konnte man das Betteln gleich bleiben lassen. Er selbst war fünfzehn, wirkte aber noch immer wie dreizehn. Er hatte große kindliche Augen und war klein für sein Alter, sogar ungewöhnlich klein, und anders als bei Samuel, Pico oder Romeo war seine Haut noch immer weich und das Haar seidig. Deren Haut war irgendwie gröber, und man sah schon Ansätze von Bartwuchs. Zwar hatten sie bereits erste Erfahrungen mit Mädchen gemacht, aber trotzdem beneideten sie Marco, weil der sich so langsam entwickelte.
    Marco war das durchaus bewusst.
    Schon möglich, dass er klein war für sein Alter. Aber sein Verstand war der eines Erwachsenen, und er wusste ihn zu gebrauchen.
    »Papa, darf ich in die Schule gehen?« Mit sieben hatte er darum gebettelt. Damals lebten sie noch in Italien. Marco liebte seinen Vater, doch der war auch damals schon zu schwach gewesen. Denn sein Bruder Zola, Marcos Onkel, verlangte, dass die Kinder auf die Straße gingen. Und Zolas Wille war Gesetz, er war der Anführer des Clans.
    Aber Marco wollte etwas lernen, und da es in fast allen Dörfern Umbriens eine kleine Schule gab, stellte er sich, sobald die Morgensonne ein bisschen Kraft hatte, dicht vor die geöffneten Klassenfenster und saugte alles auf, was er hören konnte. Erst dann marschierte er los, um seiner »Arbeit« nachzugehen.
    Gelegentlich kam ein Lehrer heraus und lud ihn ins Klassenzimmer ein, aber dann rannte Marco sofort davon und ließ sich nie wieder blicken. Wäre er der Aufforderung gefolgt, hätte man ihn zu Hause grün und blau geprügelt. So gesehen war es ein Vorteil, dass sie immerzu weiterzogen und dass die Schulgebäude und Lehrer wechselten.
    Einem Lehrer gelang es schließlich trotzdem, ihn sich zu schnappen. Aber statt ihn zu überreden, mit hineinzukommen, drückte er ihm eine schwere Leinentasche in die Hand.
    »Da, ich schenk sie dir – vielleicht helfen sie dir!«, sagte er und ließ Marco laufen.
    Fünfzehn Schulbücher lagen in der Tasche, und wo auch immer sie sich aufhielten, Marco fand stets einen Ort, an dem er sie studieren konnte, wenn die Erwachsenen beschäftigt waren.
    Nach zwei Jahren hatte er sich das Rechnen und das Lesen und Schreiben auf Italienisch, Englisch und ein wenig auch auf Dänisch beigebracht.
    Denn inzwischen waren sie schon drei Jahre in Dänemark, und in dieser Zeit hatte er als Einziger aus der Gruppe die Sprache nahezu fließend zu sprechen gelernt.
    »Erzähl, erzähl!«, rief Miryam oft. Sie mochten sich sehr.
    Zola und dessen engere Vertraute hingegen betrachteten Marcos Ambitionen mit Misstrauen. Sie brauchten keine Denker, sie brauchten Werkzeuge.
    An diesem Abend lagen sie in ihren Etagenbetten und mussten mitanhören, wie

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