Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
weißen Briefbögen. Ein trostloser Anblick. Ein paar Meter über ihm in der Pappel hing sogar ein beschriftetes Stück Papier. Maschinenschrift plus Unterschrift. Womöglich hatte Lisa es gerade geschrieben, als es passierte. Was für ein entsetzlicher Gedanke.
Aber was war passiert? Waren hier dieselben am Werk gewesen, die auch ihn und seine Frau überfallen hatten?
Eigentlich hatte er geglaubt, der Überfall auf ihn sei auf Snaps Initiative hin erfolgt. Aber da war er nun nicht mehr so sicher.
Nur – wer sonst konnte dahinterstecken?
Er war Brage-Schmidt nie begegnet, aber es hieß, der Mann habe sein Vermögen beileibe nicht im Schlaf erworben. Er sei äußerst effektiv und tatkräftig. Effektiv und tatkräftig, ja. Zwei Wörter, die sich in alle Richtungen interpretieren ließen.
René schloss die Augen und überdachte die Situation. Brage-Schmidt war nicht mehr der Jüngste, für das hier hatte er garantiert Leute angeheuert. Falls er denn überhaupt der Drahtzieher war. Aber welches Motiv könnte er haben? Dasselbe, das ihn, René, hierhergeführt hatte?
Er blickte hinüber zu dem gewaltigen Polizeiaufgebot und zu den beiden Krankenwagen, die gerade lautlos davonfuhren. Noch vor zwei Minuten hatte er hier ausharren wollen, bis alle verschwunden wären. Aber inzwischen war ihm klar, dass es dafür kaum noch einen Grund gab.
Letztlich drehte sich immer alles ums Geld. Das galt garantiert auch in diesem Fall.
Die Einsatzkräfte schwärmten jetzt über das ganze Grundstück aus. Zwei Polizisten bewegten sich langsam in seine Richtung, den Blick auf die Rasenfläche gerichtet. Die suchten sicher nach Fußabdrücken. Er schaute sich um. Seine eigenen Spuren zeichneten sich deutlich auf dem feuchten Boden ab.
Zum Glück bin ich nicht vor denen hier aufgekreuzt, dachteer, sonst hätte ich auch ums Haus herum Spuren hinterlassen. An der Hecke entlang zog er sich vorsichtig zur Hauptstraße zurück, wo er etwas abseits einen Parkplatz gefunden hatte.
Als er schließlich im Auto saß, war er endgültig davon überzeugt, dass die abgedeckten Gestalten auf den Tragen Teis und Lisa gewesen waren. Brage-Schmidt hatte in ihrem gemeinsamen Deal über all die Jahre die tragende Rolle gespielt. Warum sollte sich das jetzt geändert haben? Nein, Geldgier kennt keine Grenzen, dachte René. Das sah er ja an sich selbst. Falls Brage-Schmidt die beiden hatte ermorden lassen, um sich die Curaçao-Aktien unter den Nagel zu reißen, dann hatte er sein Ziel mit Sicherheit erreicht.
Und um das zu überprüfen, war René gern bereit, die hundert Kilometer nach Norden zu fahren.
Schmiedeeiserne Lampen, ein Springbrunnen ohne Wasser, massive, schmiedeeiserne Gitter vor den Fenstern – so sah die Villa des ehemaligen Konsuls für eine Reihe zentralafrikanischer Staaten also aus. Potthässlich und reichlich protzig.
René verriegelte das Auto und knöpfte den Mantel zu. Nun galt es, sich ebenfalls »effektiv und tatkräftig« zu zeigen. Aber mit einem so alten Kerl wie Brage-Schmidt müsste er eigentlich problemlos fertigwerden. Ansonsten hatte er ja noch den Hammer.
Der Türklopfer ließ sich nur schwer betätigen. Jeden Tag bekommt er wohl nicht Besuch, dachte Eriksen und klopfte ein zweites Mal, energischer. Irgendjemand musste zu Hause sein bei all dem Licht, das brannte.
Er blickte hinüber zu einer Pforte in dem Lattenzaun, der den Garten mit seinen hohen, alten Fichten umgab. Vielleicht konnte er von der Gartenseite aus ins Haus schauen. Dann würde er auch gleich sehen, ob Brage-Schmidt allein war.
Als Junge hatte er sich am Abend des Dreikönigsfestes zu den Nachbarn geschlichen und die Fenster mit rußigen Korkengeschwärzt. Aber das war lange her. Schnüffeleien wie diese hier gehörten nicht zur Kernkompetenz von Verwaltungsjuristen, die Karriere gemacht hatten. Und entsprechend wenig gefiel er sich denn auch darin, ungeschickt von einem Busch zum nächsten in Deckung zu rennen, das Ganze vor hell erleuchteten Fenstern.
Das da ist wohl das Wohnzimmer, dachte René und versuchte, auf Zehenspitzen hineinzuschauen.
Es war ein Zimmer, das an die Geschichten von Ernest Hemingway erinnerte oder einfach an einen schlechten Film. Noch nie in seinem Leben hatte René so viele Trophäen wilder Tiere an einem Ort gesehen. Präparierte Büffel und Antilopen, Raubtiere jeglicher Größe und Kreaturen, die er höchstens einmal auf Fotos gesehen hatte, hingen in Reih und Glied neben den Waffen, mit denen sie erlegt worden
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