Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
brüllte sie und stampfte mit dem Fuß auf. »Auch ein Arschloch wie das hier hat ein Anrecht auf eine faire Behandlung!« Dann starrte sie auf das Display. »Ach, Scheiße, jetzt bin ich auf Wahlwiederholung gekommen.«
Hinter den Gaffern ertönte schwach das Klingeln eines Handys, und prompt drehten sich alle um.
Carl und Rose sahen sich erstaunt an und versuchten, die Herkunft des Geräusches zu orten.
»Also, davor hatte ich das Handy angerufen, das der verschwundene Junge bei sich hatte«, sagte sie und musterte die Umstehenden.
Die Menge teilte sich, und eine Frau deutete in die Richtung, aus der der Klingelton kam. Dort stand ein Christiania-Lieferfahrrad.
Kopfschüttelnd zuckte der Kerl auf dem Sattel die Achseln. Keine Ahnung, sollte das bedeuten, aber Carl kam der Typ mit seinen Handschuhen und der extrem eng anliegenden Kapuze merkwürdig vor. Der wirkte ja geradezu vermummt bei der lauen Frühlingsluft.
Prüfend musterte Carl den Kasten des Lieferrads. Doch, groß genug war der.
»He, du«, rief er und ging auf den Mann zu. »Darf ich mal sehen, was du da in dem …«
Da trat der Kerl voll in die Pedale.
»Rose, kümmere du dich um Tilde!«, schrie Carl und setzte dem Radfahrer nach. »Verdammt noch mal, jetzt helft uns doch endlich!«
Widerwillig wichen die Gaffer zurück.
Carl wusste nur zu gut, dass man in der Pusher Street nicht rannte. Aber wie ein Idiot Fahrrad fahren durfte man, oder wie?
»Stoppt ihn!«, brüllte er. In dem Moment begann sein Brustkorb wieder zu schrumpfen, wurde zu eng für das, was er beherbergte. Und schon hatten ihn Assad und der Typ, der ihnen den Gürtel geborgt hatte, überholt.
»He, Mandelmann!«, hörte er Assad schreien, dass es vom Restaurant Spiseloppen und den Hausfassaden der Prinsessegade widerhallte.
Der Mensch, der am Eingang der Pusher Street mit seinem Handwagen stand und Mandeln brannte, drehte sich um.
»Schieb deinen Wagen vor und versperr den Weg!«, brüllte Assad. »Du kriegst tausend Kronen!«
Der Mandelverkäufer hatte offenbar Geschäftssinn, jedenfalls rollte er ohne zu zögern sein hellblaues Gefährt auf die Straße. Tausend Kronen, das war mehr, als ein paar neue Seitenplanken kosteten.
Vergeblich versuchte der Fliehende, das Hindernis zu umfahren, bevor er kurz entschlossen zur ehemaligen Maschinenhalle abbog, einem gigantischen Holzgebäude mit roten Sprossenfenstern, in dem die Christianiter recycelbare Stoffe sammelten und sortierten. Er bremste scharf, sprang vom Sattel und wollte mit ein paar Schritten die Sammelcontainer umrunden. Aber der Durchgang war versperrt von Menschen, die mit einer Dose Bier herumstanden, den Feierabend und das Wetter genossen und sich nicht so einfach wegscheuchen ließen. Da verschwand der Mann unvermittelt in der Wertstoffhalle.
Sekunden später, als Carl nach Atem ringend zu ihnen stieß, standen Assad und der Gürtelbesitzer bereits in der Halle und sahen sich um.
»Wo zum Teufel steckt der Kerl?«
Carl scannte die Umgebung. Der riesige, ausgesprochen hohe Raum war eine Offenbarung in grellbunt. Von einem Balken hoch über dem Eingang hing eine gigantische Leinwand mit einer Karikatur, die den früheren, in dieser Umgebung wenig geschätzten Staatsminister darstellte. Überall lagen Maschinenteile, es kam Carl vor, als wären es Tausende. Zusätzlich stand auf den vielen Wandregalen oder einfach mitten auf dem Boden aller nur erdenkliche Krimskrams herum. Von Miniaturrennwagen bis zu ausgesägten Palmen mit Sombreros an den Wedeln war alles dabei. Nicht wirklich der optimale Ort, um einen extrem wendigen, gelenkigen Afrikaner aufzuspüren.
»Versucht’s mal da oben!«, rief Carl und deutete zur Decke, wo findige Köpfe mitten auf die Querbalken einen Büroraum aus Rigips und Holz gesetzt hatten. Er selbst ging nach draußen zu dem Lieferfahrrad.
Von bangen Ahnungen erfüllt, machte er sich daran, das Schloss des Transportkastens zu öffnen. Es war so verdammt still darin. Wenn die Entführer Marco dasselbe Betäubungsmittel verabreicht hatten wie Tilde, nur höher dosiert, dann hatten sie ihre Mission vermutlich bereits erfüllt. Ihn schauderte.
Schließlich klappte er den Deckel auf. Da lag Marco, zusammengekrümmt und leblos. Vorsichtig hob Carl ihn heraus, trug ihn in die Wertstoffhalle und legte ihn auf eine Decke. Lautes Poltern unterm Dach kündete von den Suchaktivitäten Assads und seines Helfers.
Hastig schob Carl Marcos Ärmel hoch. Der Puls war nicht mehr zu spüren. Rasch
Weitere Kostenlose Bücher