Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
von wem.
Wieder sah er, dass Laursen an seinem Hemd zupfte. Er wollte keinen Unfrieden in seinem Reich. »Na, lass hören, was sagen die Berichte in Holland?«, versuchte er abzulenken. »Gibt es nun einen Zusammenhang zwischen den Druckluftnagler-Morden in Schiedam und denen hier in Dänemark?«
Carl schnaubte. »Die Berichte? Völlig aussagelos. Reine Zeitverschwendung.«
»Und wie ich sehe, frustriert dich das. Stimmt doch?«
Carl sah Tomas Laursen lange an. Nicht viele im Präsidium wagten es, ihm so persönliche Fragen zu stellen. Allerdings gab es auch nicht viele, die eine Antwort erwarten durften. Und schon gar nicht einer von diesen Grützköpfen hier.
»Alle unaufgeklärten Fälle frustrieren einen guten Polizisten.« Er sah sich um. Daran hatten sie hoffentlich eine Weile zu kauen. »Besonders die Fälle, in denen die eigenen Kollegen zu Opfern werden.«
»Wo wir gerade davon sprechen: Wie geht’s Hardy?«
»Hardy liegt immer noch zu Hause bei mir. Und das wird sich nicht ändern, bis einer von uns den Löffel abgibt, denke ich mal.«
Da nickte der Nachbar mit dem Salatteller plötzlich. »Du bist ein Arschloch, Carl, aber dass du dich um ihn kümmerst, ist dir hoch anzurechnen. Das würden nicht viele tun.«
Carl runzelte leicht die Stirn, vielleicht zeigte sich auf seinem Gesicht sogar die Andeutung eines Lächelns. Ein merkwürdiges Gefühl, so etwas von einem Kollegen zu hören – zum allerersten Mal.
Unten bei der Mordkommission war richtig was los. Im bescheidenen Vorzimmer waren mindestens ebenso viele Dänemarkfähnchen aufmarschiert wie auf dem Schlossplatz zum Geburtstag der Königin oder bei einem Sommertreffen der Dänemarkpartei.
»Hallo Lis. Ihr seid ja völlig außer Rand und Band! Gab’s die Flaggen zum Sonderpreis?«
Lis, die jüngere der beiden Sekretärinnen und der einzige wirkliche Lichtblick im Dezernat A, legte den Kopf schief. »Na, Carl, nur kein Neid. Wenn du aus Afghanistan zurückkämst, würde ich natürlich auch massenhaft Flaggen aufstellen.«
»Ja, ja«, sagte er nur und genoss es, wie sie ein wenig die Mundwinkel verzog. Das war Flirten der unterkühlten Art, wie Carl es liebte. Nicht mal Mona brachte ein Lächeln zustande, das einen Mann dermaßen unterhalb der Gürtellinie treffen konnte. »Bis ich aus Afghanistan wiederkomme, wird Moos auf deinen Fähnchen wachsen. Weil ich nämlich gar nicht erst dorthin gehen werde. Ist Marcus im Büro?«
Sie deutete auf die Tür.
Der Chef der Mordkommission saß am Fenster. Die Halbbrille auf die Stirn geschoben, starrte er über die gegenüberliegenden Dächer. Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, bewegte sich seine Gemütsverfassung zwischen bodenloser Müdigkeit und völliger Verlorenheit. Nein, das sah nicht gut aus. Aber wenn man bedachte, wie sich die Akten um ihn herum türmten – allein der Schreibtisch glich dem Zentrallager einer Papiermühle –, dann war das Erstaunlichste an der Sache, dass er nicht jeden Tag so dasaß und vor sich hin stierte.
Jacobsen vollführte eine Drehung mit dem Schreibtischstuhl und betrachtete Carl mit einem resignierten Blick, als säßen die eigenen Kinder auf dem Rücksitz und würden zehn Kilometer südlich von Kopenhagen zum fünfundzwanzigsten Mal fragen, ob man bald in Italien sei.
»Na, Carl, was gibt’s?« Die Frage klang, als könne er eine Antwort kaum ertragen.
»Wie ich sehe, wird hier gefeiert«, sagte Carl und deutete über die Schulter auf das Vorzimmer. »Wann kommt das Feuerwerk?«
»Tja, mal sehen. Und Holland? Gab es da etwas, das uns der Aufklärung der Druckluftnagler-Fälle näherbringt?«
Carl schüttelte den Kopf. »Näher? Näher gekommen bin ich allein der Erkenntnis, dass nicht nur hier im Präsidium haufenweise Murks verzapft wird. Wenn die mir, wie sie behaupten, einen umfassenden Bericht über sämtliche Druckluftnagler-Morde der letzten zwei Jahre in unseren Breitengraden vorgelegthaben, dann bin ich der Großmogul von Drucknaglistan. In der Tat kann man wohl lediglich Terje Plougs’ Dossier über die Morde hier bei uns in Sorø und auf Amager als ordentliches Stück Arbeit bezeichnen. Die Holländer dagegen: Totalausfall. Unvollständige Ermittlungsberichte, zu spätes Eingreifen, keine einzige technische Analyse des Geräts – einfach nur ärgerlich das Ganze. Da kommen wir nicht weiter, es sei denn, die Holländer legen noch mal was völlig Neues auf den Tisch.«
»Ah ja. Dann kann ich wohl auch von dir keinen gescheiten Bericht
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