Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)
mich? Von der Arbeit, von zu Hause?« Fragend sah er Marco an.
Da wusste Marco sich nicht anders zu helfen, als wortlos den Rückzug anzutreten.
»He, mein Junge, wohin so eilig?«, rief ihm der Wachhabende hinterher.
Im selben Moment hörte Marco Schritte auf dem Korridor hinter dem Empfangstresen. Ein Polizist in Zivil trat ein und grüßte einen der Kollegen hinter der Theke. Marco lief es eiskalt über den Rücken: Das war der Polizist, den er vor drei Tagen in Starks Haus gesehen hatte! Ihre Blicke begegneten sich.
»Hallo, Carl«, grüßte der Kollege hinter der Schranke zurück.
Da huschte Marco durch die automatische Glastür und rannte los. Er bekam noch mit, dass sie hinter ihm herriefen, und er bemerkte auch, dass auf dem Parkplatz zwei Polizisten zu ihm herübersahen. Aber ehe die begriffen, was passierte, war er schon über den Zaun am Ende des Gebäudes gehechtet, rannte quer über eine Rasenfläche und sprang an deren Ende über einen zweiten Zaun. Hundert Meter weiter in der nächsten Straße, direkt am Kindergarten, stand Starks Fahrrad. Sekunden später trat er in die Pedale und fuhr in Richtung Innenstadt, wobei er alle Nebenstraßen benutzte, die ihm in den Sinn kamen.
So ein Scheiß, das war ja total schiefgegangen! Nichts, aber auch rein gar nichts von seinem Anliegen war er losgeworden. Weder hatte er erzählen können, wo Starks Leiche lag, noch,wer ihn getötet hatte. Und was fast noch schlimmer war: Der Polizist hatte ihn gesehen, der ihn auch schon vor Starks Haus entdeckt hatte.
Wenn er die Polizei richtig einschätzte, würden sie nicht mehr lockerlassen. Also hatte er die jetzt wohl auch noch am Hals. Er konnte nur hoffen, dass die Überwachungskameras ihn nicht eingefangen hatten.
Wichtiger denn je war jetzt, dass er ein sicheres Versteck fand, eines, von dem aus er sie alle im Auge behalten konnte – Zolas Häscher, die Polizei und auch Eivind und Kay, denn das Geld hinter der Fußleiste musste er ja auch noch holen.
Als er zur Kreuzung Jagtvej/Åboulevard kam, überlegte er, wofür er sich entscheiden sollte – Pest oder Cholera? Wo war es im Moment am sichersten und von wo aus konnte er am besten observieren? Østerbro oder City?
Das Fahrrad zwischen die Beine geklemmt, stand er kurz da, dann fasste er einen Entschluss. Um fünf Uhr holte der Lieferwagen Miryam und die anderen am Rathausplatz ab. Wenn er genügend Sicherheitsabstand hielt, konnte er beobachten, wer von ihnen zum Betteltrupp gehörte und wen sie losgeschickt hatten, um nach ihm zu suchen.
Am Rathausplatz sah er sich nach einem Ort um, wo er das Fahrrad einigermaßen sicher abstellen konnte, denn er hatte kein Schloss und wollte nicht, dass es gestohlen wurde. Aber es war gar nicht so einfach, am verkehrsreichsten Ort Dänemarks einen geeigneten Platz zu finden.
Und genau da, direkt neben dem H.-C.-Andersen-Schloss auf der Tivoli-Seite, bemerkte er auf einmal das riesige Gebäude, das zur Sanierung komplett eingerüstet und zugehängt war. »Haus der Industrie« stand auf dem Schild. Ein gewaltiges Bauprojekt, neben dem er schon zigmal gestanden und auf den Lieferwagen gewartet hatte, das ihm aber nie wirklich aufgefallen war.
Wenn das nicht die Lösung für sein Wohnproblem war …
18
Das ganze Wochenende ging es Carl schlecht. Genauer gesagt: saumäßig. Am Samstagabend hatten Mika und Morten eine Party gegeben. Teils wollten sie damit ihr Zusammenziehen öffentlich machen und begießen, teils wollten sie etwas von dem Wahnsinnsgeld durchbringen, das der Verkauf von Mortens Playmobil-Sammlung bei eBay eingebracht hatte.
»Zweiundsechzigtausend hat er dafür gekriegt!« Mindestens zehnmal wiederholte Jesper die Neuigkeit, während sie die Cocktailgläser mit Papierschirmchen bestückten. Er sah dabei aus, als wollte er umgehend auf den Dachboden stürmen und seine Action-Man-Sammlung holen, um sie ebenfalls zu verticken.
Zweiundsechzigtausend, der helle Wahnsinn.
Deshalb flossen Wein, Bier und der bunte Inhalt diverser Flaschen reichlicher, als man es je in diesem Teil des Rønneholtparks erlebt hatte. Es war noch nicht zehn Uhr, da waren Ken und die Nachbarn aus Nummer 56 bereits zu Boden gegangen. Bis nach Mitternacht hielten außer Carl nur noch Morten und Mika durch und ein paar ihrer sturzbesoffenen, aber munter trällernden und eifrig tanzenden Schwulenfreunde.
Nachdem Carl zum x-ten Mal die Tanzaufforderung eines engbehosten Vierzigers mit keck schief sitzender Lederkappe zurückgewiesen
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