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Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)

Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition)

Titel: Erwartung: Der Marco-Effekt Der fünfte Fall für Carl Mørck, Sonderdezernat Q (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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hinter einen Busch. Er hörte Gelächter und sah zwei Gestalten mit Fahrrädern. Allerdings konnte er von dort, wo er hockte, ihre Gesichter nicht erkennen. Und im nächsten Moment waren sie auch schon um die Hausecke verschwunden. Es klang, als stellten sie die Räder ab.
    Die, die als Erste wieder auftauchte, war eine dunkelhaarige, ziemlich hübsche Frau mit einer großen Einkaufstasche.
    »Tilde, hast du deinen Schlüssel griffbereit? Meiner liegt vergraben unter unseren Flohmarktschätzen.«
    Bei dem nun folgenden Lachen wurde es Marco ganz warm ums Herz.
    Als er Tilde endlich sah, lächelte er, er konnte nicht anders. Sie war so zart. Etwas dünn und hoch aufgeschossen und mit großen Füßen, aber wie sie den Schlüssel in der ausgestreckten Hand hielt, schien sie wie eine Balletttänzerin zu schweben.
    »Bist ein Schatz«, sagte ihre Mutter, als Tilde aufschloss.
    »Danke, gleichfalls.« Erneutes Kichern, und dann waren sie weg.
    Marco prägte sich Tildes Gesicht ein. Er wollte sich an ihre Züge erinnern. Er wollte sich an sie erinnern, weil ihre Stimme ihn berührt hatte, weil schon allein ihr Lachen ihn zu wärmen vermochte.
    Vergiss nicht, dass dein Vater ihren Vater umgebracht hat!, ermahnte er sich. Wie konnte er da jemals auf sie zugehen? Besonders jetzt, nachdem er gesehen hatte, wie sie war? Jetzt, wo die Realität die undefinierbare Zuneigung bestätigte, die er für sie empfand, seit er die Suchmeldung gesehen hatte?
    Wie konnte er auf sie zugehen, nachdem er trotz allem, was er wusste, nichts getan hatte?
    Langsam kam Marco hinter seinem Busch hervor und trat auf die Straße. Beim Anblick der vielen bunten Häuser wurde ihm noch düsterer zumute.
    Nein, so ging es nicht weiter. Er musste etwas unternehmen. Auch wenn ihr die Wahrheit wehtun würde, sie musste sie kennen. Das schuldete er ihr. Deshalb musste er sich endlich bei der Polizei melden – auch wenn er damit seinen Vater preisgab.
    Nach einer weiteren Nacht in William Starks Haus ging Marco an den Kleiderschrank von Tildes Mutter und fand darin ein kariertes Hemd, das ihm deutlich besser gefiel und passte als das, was er anhatte. Von der Garderobe im Flur nahm er sich eine Windjacke, und im Keller zog er seine frisch gewaschene Unterwäsche, die Socken und die Hose aus dem Wäschetrockner an.
    Er betrachtete sich im Badezimmerspiegel und nickte. Er sah ganz passabel aus. Jedenfalls passabel genug für das, was er vorhatte. Nun fehlte ihm nur noch Kleingeld, und das war das Schwierigste.
    Könnte er doch nur Starks Klamotten verkaufen, der würde sie schließlich nicht mehr brauchen. Aber wer kaufte heute noch alte Kleidung? Die brachte ebenso wenig ein wie altes Geschirr und alte Möbel. Und alte Fernseher und Musikanlagen konnte man erst recht vergessen.
    Aber vielleicht war das ja auch ganz gut so. Dadurch kam er gar nicht erst wieder in Versuchung zu stehlen. Außer den paar Kleidungsstücken, die er am Leib trug, und einem halben Glaseingelegter Gurken – und das war quasi Mundraub – hatte er seit Monaten nichts entwendet.
    Ganze fünf Minuten ging Marco barfuß durchs Haus, um die weichen Teppiche zu spüren und sich dieses Gefühl einzuprägen. So musste es sich anfühlen, ein Zuhause zu haben und von Dingen umgeben zu sein, die man gern hatte und die einem gehörten.
    Schließlich stand er wieder vor dem Tresor. Und erneut spürte er diese unerklärliche Unruhe. Er kniete sich hin und inspizierte den oberen Teil des Türinnenrahmens. Da fiel ihm plötzlich auf, dass die Zahlen und Buchstaben nicht alle gleich aussahen. Im hellen Licht der Morgensonne konnte er die unterschiedlichen Grautöne deutlich erkennen. A4 war ganz schwarz. C4 war am Rand leicht verwischt, wie mit einem abgenutzten Filzstift geschrieben. Und wenn man ganz genau hinsah, mussten C6 und F6 und 7 ebenfalls zu verschiedenen Zeitpunkten geschrieben worden sein. Der Code war offenbar nach und nach immer länger geworden. Verblüfft setzte er sich auf den Fußboden und dachte nach. Diese Buchstaben-Zahlen-Reihe verschlüsselte vielleicht nicht nur eine, sondern gleich mehrere Sachen.
    Schließlich raffte er sich auf und verließ das Haus durch die Hintertür. Einen Moment lang blieb er auf der Terrasse stehen, betrachtete nachdenklich das Muster der Steinplatten und überlegte. Womöglich musste er den weiten Weg, der jetzt vor ihm lag, zu Fuß gehen. Aber er hatte Glück: Im Schuppen stand ein Fahrrad, das er sich ausleihen konnte. Wie lange war das her, dass er

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