Erzähl es niemandem!: Die Liebesgeschichte meiner Eltern (German Edition)
»Dass du
dich nicht schämst, dich gebildet zu nennen! Weißt du was, ich spucke auf
dich!« Nach weiteren Briefen mit beleidigendem Inhalt findet sie, schon
reichlich resigniert, einen von einer Julia Berg-Hansen. Eine Niederländerin,
die mit einem Norweger verheiratet ist und die eine Gesellschafterin sucht.
Lillian ruft sofort die angegebene Telefonnummer an, und eine freundliche
Stimme am anderen Ende der Leitung bittet sie, um 6 Uhr zur Gyldenløvesgate 47
zu kommen.
Am Abend sitzt sie Frau Berg-Hansen in deren Wohnzimmer gegenüber.
»Ich bewundere Sie für Ihren Mut«, sagt Julia Berg-Hansen. »Die Liebe zwischen
zwei Menschen ist Schicksal. Da soll niemand den ersten Stein werfen.« Diese
Frau ist meine Rettung, denkt Lillian dankbar und erzählt der fremden Niederländerin
die ganze Geschichte von sich und Helmut. Fünf Monate lang wohnt und arbeitet
Lillian im Haus der Berg-Hansens in Oslo, bevor sie Weihnachten 1946 nach
Harstad reist. Fast zwei Jahre sind seit jenem Tag vergangen, an dem sie mit
der Lofoten Harstad verlassen hat.
Meine Mutter stockt, wenn sie über diese Rückkehr erzählen
soll. »Als ich wieder nach Hause gekommen bin, haben sich meine Mutter und
meine Geschwister schon sehr gefreut, und das erste Mal in meinem Leben hat mir
meine Mutter Frühstück ans Bett gebracht! Aber irgendwie war alles anders als
früher, und Papa war nach wie vor mir gegenüber reserviert.«
Über Helmut wird in diesen Weihnachtstagen 1946 so gut wie gar nicht
gesprochen, obwohl Lillian weiß, dass er Kontakt zu ihren Eltern aufgenommen
hat, denn sie findet seine Briefe in einer Schublade des Buffets im Esszimmer.
So auch den vom März 1946:
So nutze ich den ab morgen eröffneten Postverkehr mit dem
Ausland umgehend aus, um endlich ans Ziel zu gelangen … Lillian wird Sie
inzwischen über meine Familienverhältnisse aufgeklärt haben … Gleichzeitig
möchte ich auf diesem etwas ungewöhnlichen, aber durch Zeitumstände bedingten
Wege um die Hand von Lillian anhalten.
Und diesen, der einige Monate später datiert ist:
Eigentlich bin ich ein wenig enttäuscht, daß ich bisher ohne
eine Erwiderung auf meine Zeilen geblieben bin … Nun, ich verkenne in
keiner Weise Ihre Bedenken, die bei den über die Zustände in Deutschland
verbreiteten Nachrichten nur allzu berechtigt sind … Ich kann Sie nur bitten,
das Vertrauen zu mir zu haben, daß ich jederzeit um Lillians unbeschwertes
Dasein bemüht sein werde.
Und schließlich den zu Weihnachten 1946:
Umso mehr bedauere ich diesen Zustand zwischen uns, weil
seine Ursache nicht in einer persönlichen Differenz zu suchen ist. Vielmehr ist
er einzig und allein als Ihre durchaus verständliche Reaktion auf die
Wahnsinnspolitik der früheren deutschen Verbrecher-Regierung und die daraus
entsprungenen militärischen Ereignisse in Ihrem schönen Lande anzusehen.
Lillian versucht immer wieder mit ihren Eltern über
Helmuts Geschichte zu sprechen. Aber Annie und John wollen nicht, dass ihre
Tochter ihre Zukunft in Deutschland sieht. Im Land der Verbrecher. Im Land, in
dem man hungert. »Das wird ein Leben in Armut«, sagt der Vater zu ihr.
Nach drei Monaten hält Lillian es zu Hause nicht mehr aus.
Sie will zurück nach Oslo, dort muss sie sich weiter um eine Einreise nach
Deutschland bemühen, von dort gehen die Schiffe Richtung Süden ab. Aber die
Grenzen nach Deutschland sind immer noch geschlossen.
Von Wuppertal aus sucht Helmut immer wieder nach neuen Wegen und
schreibt entsprechend verschlüsselte Briefe an Lillian. Einmal scheint schon
alles klar zu sein für eine Fahrt nach Rotterdam zu einem gewissen Theo
Gumbrecht, der Lillian nach Deutschland bringen soll. Aber als sie in die Visumsbehörde
nach Oslo kommt, schüttelt der Mann am Schalter den Kopf: »Wir wissen, dass Sie
eigentlich nach Deutschland wollen, Fräulein Berthung, und diese Adresse in
Rotterdam nur ein Zwischenstopp ist.«
Offenbar hat Gumbrecht nicht die Nerven gehabt und alles verraten.
Auch alle anderen Versuche in den nächsten Monaten scheitern. All die Briefe,
die Helmut an die alliierten und norwegischen Behörden schreibt und in denen er – mit Verweis auf seine Familiengeschichte – um die Einreise seiner norwegischen
Braut bittet, sie bleiben unbeantwortet.
Lillian ist mit Julia Berg-Hansen mittlerweile gut befreundet,
arbeitet aber seit Februar 1947 bei einer Frau Bergstrøm und bekommt in der
großen Villa, die einst von Terbovens Männern
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