Erzaehl es niemandem
ersten Einschläge zu hören. Nach nur einigen
Minuten war auch der Feuerschein unter den Türritzen des Kellers zu
sehen. Dann ging es Schlag auf Schlag. Wir haben dann etwa 20 Minuten später
unseren Keller verlassen und sind durch mehrere Durchbrüche mit den übrigen
Bewohnern des Hauses in den Keller der Schule an der Ecke Kölner/Langestraße
geflüchtet. In bereitgestellten Wasserkübeln wurden Tücher und Mäntel angefeuchtet,
um später als Schutz gegen Flammen und Funkenflug zu dienen. Inzwischen folgte
Welle auf Welle, und die Zeit wollte nicht vorwärtsgehen. Als übereifrige
Ordner einen der rückseitig gelegenen Ausgänge öffneten, um schon während des
Angriffs mit dem Abtransport der Menschen zu beginnen, sahen wir, daß schon die
Blumen- und Langestraße ein Feuermeer war.
Gegen 2 Uhr war der Spuk zu Ende, d.h. wir hörten nichts mehr,
denn Licht und somit Entwarnung klappten nicht mehr. Als wir aber an den
Hauptausgang kamen, bot sich ein grauenhaftes Bild. Die Flammen zogen bereits
an der Tür vorüber. Ein mächtiger Sturm hatte sich aufgetan. Ich mußte Mutti
mit mir nach draußen reißen, wozu sie allein wohl kaum den Mut aufgebracht
hätte. Schon gleich nach dem Verlassen der Schule mußte ich sehen, daß in
unserem Hause die ganze Etage über uns in hellen Flammen stand und im nächsten
Augenblick auf unsere Wohnung übergreifen mußte. An eine Rettung irgendwelcher
Gegenstände war in diesem Augenblick nicht zu denken, da es erst einmal galt,
Mutti in Sicherheit zu bringen. Wir sind dann durch die Lagerstraße gerannt,
die ganz mit Qualm und Funkenflug angefüllt war. Dann ging es durch die ebenfalls
in ihrer ganzen Ausdehnung brennende Viehhofstraße bis zum Weidenplatz. Nach
stundenlangem Warten wurden wir auf einem Lastauto zum Zoo befördert, wo eine
Auffangstelle eingerichtet worden war. So haben wir das Leben gerettet.
Als Heinz in den Morgenstunden allein zur Blumenstraße
läuft, um zu retten, was zu retten ist, ist sein Entsetzen groß.
Als ich unser Haus wiedersah, musste ich mich doch
zusammennehmen. Alles ausgebrannt bis zur ersten Etage. Nur die leeren
Fensterhöhlen waren noch zu sehen, wo ehemals unsere schöne Wohnung war.
Über 6000 Menschen verlieren bei den Luftangriffen auf Wuppertal
ihr Leben, die Hälfte aller Wohnungen wird zerstört. Heinz hatte bereits nach
dem Angriff auf Barmen Koffer mit Kleidung und Dokumenten zu verschiedenen
Adressen außerhalb Wuppertals gebracht. Seine Vorsicht zahlt sich aus, aber die
gesamte Wohnungseinrichtung und viele persönliche Dinge sind Opfer der Flammen
geworden.
Helmut antwortet seinen Eltern auf die Nachrichten aus Wuppertal:
Über allen diesen traurigen Feststellungen steht aber doch die
mehr als erfreuliche Gewissheit, dass Ihr wenigstens körperlich keinen Schaden
erlitten habt, so daß auch trotz Eures nicht mehr ganz jugendlichen Alters ein
neuer Weg zum Glück im eigenen Heim jederzeit offensteht. Wir wollen also in
keiner Weise die Flügel hängen lassen, sondern weiter nach meinem Prinzip ›Nun
gerade!‹ handeln.
Lillian im Arbeitsdienst
Juli 1943
Lillian pumpt die Reifen ihres Fahrrads auf. Es sind zwar
nur 10 Kilometer, aber sicher ist sicher. Den Rucksack hat sie schon auf dem
Rücken. Ihr Vater kommt aus dem Haus. Seit John Berthung von der Beziehung
seiner Tochter zu Helmut weiß, ist er ihr gegenüber sehr zurückhaltend. Aber
jetzt meint sie doch zu spüren, dass er unglücklich ist.
Lillian umarmt ihn. »Nur vier Wochen, Papa.« Mutter, Pus und Bjørn
bekommen einen Kuss. Dann schwingt sich Lillian auf ihr Rad und fährt los.
Zunächst ist es genau derselbe Weg wie zur Hütte. Auf der Samagate
trifft sie Blanche. Die beiden werden zusammen arbeiten. Das haben nicht nur
sie mit Erleichterung aufgenommen, sondern auch ihre Familien. An der Gabelung,
an der es links zur Hütte geht, biegen die beiden jungen Frauen nach rechts auf
den Ervikveien. Dann geht es am Møkkelandsee weiter nach Kasfjord. Und da ist
auch schon ihr Ziel, der Hof von Trygve Lund. Das alte Haus liegt oben am Hang
über dem Fjord.
Trygve Lund ist ein Mann um die 50, groß gewachsen, hager. An der
Bäuerin mit dem fremd klingenden Namen Simonette fällt der gebeugte Rücken auf, der strenge Mund, das kurzgeschnittene glatte
Haar.
In den nächsten Wochen werden Lillian und Blanche das Heu auf den
Feldern rechen und zu Ballen schnüren. Die beiden sind abends todmüde, die
anstrengende Arbeit ist ungewohnt
Weitere Kostenlose Bücher