Erzaehl es niemandem
John, dass er vor einiger Zeit irgendetwas
über ein Gesetz zum nationalen Arbeitseinsatz gelesen hat. Aber auch wenn er
sich nicht weiter damit beschäftigt hat, so rät er Lillian doch, auf das Amt zu
gehen.
Am nächsten Tag gehen Lillian und Blanche gemeinsam in das graue
Amtsgebäude in der Storgate. Dort werden sie schon erwartet. Man teilt ihnen
mit, dass sie zunächst einmal für vier Wochen Landarbeit eingeteilt sind. Der
Vorsitzende des Arbeitskontors sieht die acht jungen Männer und Frauen, die sich
vor ihm versammelt haben, nicht besonders freundlich an. »Später bekommt ihr
noch Bescheid über einen weiteren Arbeitseinsatz. Wer von euch kann Deutsch?
Wir brauchen überall Arbeitskräfte, und wir müssen auch für die Wehrmacht
Mitarbeiter besorgen.«
Lillian und Blanche erhalten die Mitteilung, dass ihr Einsatz am 1. Juli beginnen soll, gleich nach dem Examen an der Handelsschule.
Am Abend sind Helmut und Lillian vor dem Kino verabredet. Heute
läuft der Ilse-Werner-Film »Wir machen Musik«. Lillian hat ihn schon einmal mit
Helmut gesehen. Aber das macht nichts. Große Auswahl gibt es in Harstad nicht, vor
allem weil jetzt nur noch deutsche Filme gezeigt werden. Und die Hauptsache ist
ja sowieso, dass man zusammen sein kann.
Wie immer hat Helmut Karten für die Plätze 109 und 110 gekauft. Wenn
nur die Wochenschau schon vorüber wäre. Nach der scheppernden Fanfare:
Heldengedenktag in Berlin. Der Führer. Der Reichsmarschall. Der Reichsführer- SS .
Die ganzen Ritterkreuzträger. U-Boot auf Geleitzug-Jagd im Nordatlantik. Bei
unseren Soldaten in Griechenland. Schlacht um Charkow. Unsere Luftwaffe.
Bomben. Feuer. Donner. Rauch. Schwere Verluste. Am Schluss essen die Soldaten
Brote in der besetzten russischen Stadt.
Lillian sieht sich um. Ob jemand merkt, dass auch sie gerade ein
Wehrmachtsleberwurstbrot isst? Helmut bringt ihr die Brote mit ins Kino. »Dein
Theater-Konfekt«, sagt er dann immer und lacht.
Das Kino ist voll mit deutschen Soldaten. Und einigen jungen
norwegischen Frauen. Lillian sieht das mit Unbehagen, denn sie weiß, dass
einige keinen guten Ruf haben. Auch Anna Knudson ist im Kino, die seit ein paar
Monaten die Freundin und Sekretärin von Gestapochef Ottlinger sein soll. Lillian
kann sich nur allzu gut vorstellen, wie furchtbar das für Annas Vater sein
muss, der bekanntermaßen Kommunist ist. Es wird über alle Frauen abschätzig
geredet, die sich mit Deutschen einlassen. Lillian ist sich bewusst, dass nun
auch sie dazugehört.
Ausgebombt
Juli 1943
Nach der deutschen Kapitulation im Kessel von Stalingrad
ändert sich die Kriegssituation, die Deutschen erleben an allen Fronten
Niederlagen, die Alliierten gewinnen mehr und mehr die Oberhand.
Der Luftangriff der Engländer auf Essen am Abend des 5. März 1943
markiert einen weiteren Wendepunkt auf dem Weg Deutschlands in die militärische
und politische Niederlage. Für das britische Oberkommando hat mit der
Bombardierung der Krupp-Stadt die Battle Of The Ruhr begonnen. Bis dahin ist
der Angriff der tausend Bomber auf Köln vom 30./31. Mai 1942, die Operation
Millennium , der größte Angriff der britischen Luftkriegsführung
gegen das Deutsche Reich gewesen. Nach dem Angriff auf Essen wird es weitere schwere
Bombardierungen auf Köln und Düsseldorf geben. Aber auch Städte wie Aachen,
Krefeld, Bielefeld, Münster, Mönchengladbach und Wuppertal liegen aus
britischer Sicht in der Ruhr Area .
Wuppertal wird ebenfalls zum Ziel der Bomber. Seit 1940 fallen immer
wieder Spreng- und Brandbomben auf die Stadt. Als Carola und Heinz in einer Nacht
den Schutzbunker aufsuchen wollen, sagt der Luftschutzwart zu Heinz: »Sie
dürfen rein, die Jüdin nicht.«
In der Nacht vom 29. auf den 30. Mai 1943 erlebt Barmen
einen großen Fliegerangriff, die Alliierten wollen aber vor allem Elberfeld
treffen. Mittlerweile gibt es kaum noch Luftschutzbunker, die ihren Namen
verdienen, und die meisten Menschen müssen die Angriffe in Kellern, die als
Schutzräume ausgewiesen sind, überstehen. Auch am 24. Juni kommt es zu weiteren
Bombardements.
Zehn Tage später schreibt Heinz an seinen Sohn:
Nachdem wir einigen Abstand von den grausigen Dingen gewonnen
haben, will ich Dir jetzt Näheres mitteilen. Der Alarm war wie üblich kurz vor
1 Uhr. Nachdem schon 20 Minuten verstrichen waren, kam Herr Ständer in den
Keller gestürzt, um zu melden, daß die berühmten Christbäume unmittelbar über
uns ständen. Schon waren auch die
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