Erzaehl es niemandem
Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Meine liebste Lillian. Im Radio wurde bekanntgegeben, daß die Entwaffnung
der deutschen Soldaten bis Ende Juni und der Abtransport in 3–4 Monaten beendet
sein sollen. Die Waffen haben wir bereits abgegeben, ob wir auch bei der
Heimfahrt bei den Ersten sein werden? Am liebsten wäre es mir natürlich, wenn
ich noch eine Zeitlang mit Dir gemeinsam in Norwegen verbringen und eine
Ausnahmegenehmigung erreichen könnte.
8. Juni
Brief
von Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Gestern habe ich zum ersten Mal meinem Vater geschrieben. Ich habe
die Hoffnung ausgesprochen, daß meine Mutter nicht doch noch im letzten Augenblick
den Mißhandlungen oder sonstigen Machenschaften der bisherigen Machthaber zum
Opfer gefallen ist. Nach ihrem Abtransport aus Zeitz mit unbekanntem Ziel
gehört allerdings mehr als Optimismus dazu, an einen guten Ausgang zu glauben.
9. Juni
Brief
von Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Mein Leben ist wirklich von einer gewissen Tragikomik verfolgt.
Während ich eigentlich gar nicht mehr in der Wehrmacht sein sollte, bemühen
sich jetzt die verschiedenen Dienststellen um mich, und gegen meinen Willen
wurde ich befördert. Ich unternehme alle Anstrengungen, das Lager für immer
verlassen zu können, und nun setzt man mich als obersten Leiter des
kaufmännischen Ausbildungswesens ein! Natürlich hat das keinen Einfluss auf
meine sonstigen Absichten, aber daß von 5000 Soldaten gerade auf mich die Wahl
fällt, ist schon wieder komisch.
12. Juni
Brief
von Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Aber so wird meine Mutter wohl den grausamen Weg aller derer
haben gehen müssen, die in den Konzentrationslagern gewesen sind. Selbst wenn
man die Schuldigen langsam in Stücke schneiden würde, wäre ihr Verbrechen nicht
auszulöschen.
6. Juli
Brief
von Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Verhör durch zwei englische Oberfeldwebel, die unsere
politische Einstellung bzw. Parteizugehörigkeit überprüfen. Es geht um die
Mitarbeit für die Alliierten bei der demnächst beginnenden Weiterleitung der
Soldaten nach Deutschland.
Ich habe bei der Gelegenheit die Wahrheit über meine Abstammung
gesagt und wurde natürlich angenommen, wobei sich beide Engländer sehr
interessiert zeigen.
20. Juni
Brief
von Lillian Berthung, Odda, an Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen:
Gerade hörte ich im Radio aus Berlin die Anzahl der jüdischen
Personen aus verschiedenen deutschen Städten, die sich noch in Theresienstadt
befinden. Von Wuppertal wurden 37 erwähnt. Es wurde darum gebeten, umgehend
Eisenbahnwaggons abzustellen, um die Personen abholen zu können. Wie sehr ich
es mir wünsche, daß Deine Mutter auch dabei wäre.
7. Juli
Brief
von Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Schön wäre es, wenn meine Mutter sich unter den 37 befände, die
in Theresienstadt auf Abholung warten. Aber ich glaube nicht, daß sie damals
von Zeitz aus dorthin transportiert worden ist. Bleiben wir vorläufig bei
unserer Hoffnung auf das Wunder und das gute Schicksal.
10. August
Brief
von Helmut Crott, Kriegsgefangenenlager Heistadmoen, an Lillian Berthung, Odda:
Ich werde alles tun, um Dich nach Deutschland zu holen. Wenn die
Ernährungsfrage einigermaßen geklärt ist und ich eine Stellung habe. Wir müssen
unserem guten Stern weiter vertrauen, der mich so sicher durch den grausamen
Krieg geleitet und uns zusammengeführt hat.
Heistadmoen
August 1945
Fieberhaft überlegen Lillian und Helmut, wie sie es
schaffen können, dass sie sich vor Helmuts Transport nach Deutschland noch
einmal sehen können. Denn es gibt wohl keine Möglichkeit, dass Helmut erst
einmal in Norwegen bleiben kann. Der Abtransport der deutschen Soldaten soll im
Spätsommer 1945 beginnen. Er wird erst ein Jahr später abgeschlossen sein.
Helmut schreibt Lillian, dass sie im Hauptquartier der alliierten
Kontrollkommission in Oslo Verbindung mit einem amerikanischen Offizier namens
Ohlsen aufnehmen soll, der vielleicht helfen wird.
Lillian arbeitet und lebt seit ein paar Monaten bei Olga Vikestad,
einer Bekannten von Liv. Sie hilft ihr bei Hausarbeiten, ist aber vor allem
dazu angestellt worden, Frau Vikestad Gesellschaft zu leisten und sie am
Wochenende
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