Erzaehl mir ein Geheimnis
zu ihrem Tod geführt hatten, auf Xanda selbst, weil sie aus dem Auto gesprungen war, auf meine Mutter, die Xanda vertrieben hatte, und auf meinen Dad, der Andre ins Haus gebracht hatte. Auf die falschen Wege, die ich gegangen war, die mich meine Schwester, meine Freunde und Kamran gekostet hatten und mir Lexi hinterlassen haben, von der ich nicht einmal wusste, ob ich für sie sorgen konnte – ein Baby, das vielleicht überleben würde, vielleicht aber auch nicht. Wie konnte sie in all dem einen Sinn sehen?
»Wenn irgendetwas anders gelaufen wäre«, sagte ich, »vielleicht wäre Micah James heute hier. Xanda auch. Warum passiert so etwas?«
»Das weiß ich nicht. Aber wenn es nicht wegen Micah James wäre, dann wäre ich wahrscheinlich heute nicht bei dir.«
41
Lexi hatte große Fortschritte gemacht und ihr Zustand war nicht mehr lebensbedrohlich. Ich durfte sie endlich in den Armen halten, sie auf meinen Brustkorb legen, sie berühren und ihr so dabei helfen, ihre Atmung, die Herzfrequenz und die seltsamen Zuckungen zu verbessern, von denen mir die Schwestern gesagt hatten, dass sie für Frühchen, die noch keine Kontrolle über ihre Muskulatur haben, normal wären.
»Jetzt, da sie selbstständig atmen kann«, sagte mir die Kinderärztin, »seid ihr fast über den Berg. Wir sind mit Lexis Fortschritten sehr zufrieden. In einem Monat kann sie vielleicht schon nach Hause.« Je öfter ich sie hielt, desto schneller würde sie wachsen. Wenn ich nicht gerade dabei war, den Wachleuten oder den Schwestern während ihrer Kontrollrunden aus dem Weg zu gehen, verbrachte ich viel Zeit im Schaukelstuhl der Intensivstation.
An dem Tag, an dem die Ärzte erlaubten, dass Lexi jetzt Besuch haben durfte, brachte mir Shelley Muffins mit, ihre alten Hosen aus der Zeit, als sie noch dünner war (an mir schlabberten sie trotzdem noch), und ein paar goldfarbene First-Washington-T-Shirts. Gold war nicht meine Farbe, aber es war immer noch besser als gestohlene Krankenhausklamotten. Als ich ihr von dem Vorfall mit meiner Mutter erzählte, sagte sie, dass Traurigkeit manchmal wie Zorn und Anklage aussehen könnte. Was ich ihr nicht erzählte, war, dass der Wachmann mich in einem leeren Patientenbett gefunden und mich den ganzen Weg bis in die Cafeteria gejagt hatte.
Mit acht Wochen war Lexi fast alt genug, um aus dem Krankenhaus entlassen zu werden. Die Ärzte sagten mir, noch eine Woche, aber auch nur, wenn sie eine Reihe entscheidender Tests überstehen würde. Durch die Blume ließ ich Shelley wissen, dass ein Schokoladenkuchen perfekt wäre, um dieses Ereignis zu feiern. Ich verbrachte mehr und mehr Zeit damit, Lexi zu schaukeln, sie zu berühren und ihr etwas vorzusingen, jedes Lied, das ich kannte. Wenn mir keines mehr einfiel, erfand ich eines. Ich sang gerade leise und falsch »Happy Birthday«, als die Schwester ins Zimmer kam und sagte: »Du hast Besuch.« Ich drückte Lexi fester an mich und sang: »Happy chocolate for meeee, happy chocolate for meeeee.«
»Wow«, sagte eine laute, bekannte Stimme. »Du siehst sogar noch schlimmer aus, als du dich anhörst.«
Ich zuckte zusammen und erschreckte Lexi, die grunzte und ein leises Miauen von sich gab. »Shhhh«, flüsterte ich ihr ins Ohr und drückte sie eng an mich. Ich hoffte, sie würde nicht spüren, wie mein Herz raste. Ihre kleine Faust, so groß wie eine Cherrytomate, umklammerte meinen Finger.
»Essence. Was machst du denn hier?« Ich hatte sie nur an ihrer Stimme erkannt – denn sie sah fantastisch aus, wie der Star, der sie bald sein würde. Ihr Gesicht, das ich so gut gekannt hatte wie das meiner Schwester, war nur noch schemenhaft dahinter zu erkennen.
»Ich bin hier, weil ich gehört habe, das Baby sei gestorben.«
»Was?«
»Das hat Delaney allen erzählt. Sie hat dich ohnmächtig in deinem Blut liegen sehen und dir mit ihrem Notruf das Leben gerettet.«
Ich fühlte mich plötzlich wie eine Figur aus einem Science-Fiction-Film, die in einen Zeit- und Raumstrudel eingesaugt und auf der anderen Seite rücksichtslos in ihrem alten Leben wieder ausgespuckt wurde. »Genau das würde sie erzählen.«
»Ihr seid nicht mehr befreundet?« Essence war mittlerweile eine so gute Schauspielerin, dass mir beinahe der Sarkasmus entgangen wäre.
»Nein«, sagte ich. »Wir sind nicht mehr befreundet.« Ich wartete auf ein selbstgefälliges Grinsen, aber es kam nichts.
»Dann wird es dich vielleicht freuen zu hören, dass sie und Kamran kein Thema mehr sind. Sie
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