Erzaehl mir ein Geheimnis
gefuttert hatte.
Ich rannte weiter die Metalltreppen hinunter, deren Schall meine genaue Position mit jedem Tritt preisgab. Ich musste hier raus, bevor mich jemand am anderen Ende abfangen konnte.
Ich lief in einen mir unbekannten, schmalen Flur hinein, der von grauen Schließfächern gesäumt war, unterbrochen von ein paar Türen. Das Licht war gedämpft und alles sah verlassen aus – wie zu erwarten an einem Sonntagmorgen. Ich probierte ein paar Türen aus, aber sie waren abgeschlossen.
»Hey, bleib sofort stehen!« Der Wachmann stolperte und ließ das Funkgerät fallen. Er rannte zurück, um es aufzuheben, mitsamt dem Akku, der über den Boden gerutscht war, was mir ein paar Sekunden Vorsprung verschaffte.
Ich prallte beinahe mit einer Notfalldusche auf dem Gang zusammen. Wahrscheinlich stand sie für den Fall dort, dass ich mich aus Versehen mit Krankenhaus-Chemikalien verätzen würde. Meine Lungen jedenfalls brannten schon wie Feuer.
Neben dem Fahrstuhl entdeckte ich ein weiteres Treppenhaus. Ich rannte durch die Flure, die sich wie der Schwanz einer Schlange in das tiefste Innere des Krankenhauses hineinwanden. Irgendwann blieb ich stehen, versteckte mich in einer Nische und lauschte.
Nichts.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Nur, dass es hier nicht mehr weiterging. Riesige Doppeltüren, mit der rot-weißen Aufschrift: ZUTRITT FÜR UNBEFUGTE VERBOTEN und einer kleineren Aufschrift: WARNUNG: FORMALDEHYD-REIZSTOFF UND KREBSGEFAHR, versperrten mir den Weg.
Ich war schon einmal hier gewesen, aber die Erinnerung war nicht greifbar. Mir war ein Schild mit einer nach oben gebogenen Ecke aufgefallen, unter der ein silberner Rand zu sehen war. Mit dem Rücken in der Nische rutschte ich nach unten, bis ich auf der Höhe einer Zwölfjährigen war. Die Worte auf dem Schild über mir kamen mir zwei Meter groß vor.
Und diese Ecke kannte ich, wurde mir mit einem Schauder klar. Die Ecke rollte sich am unteren Ende auf, scharf und glänzend wie eine Rasierklinge. Genau diese hatte ich schon einmal gesehen – in der Nacht, als Xanda starb.
Ich hörte Stimmen im Gang, der Wachmann und noch eine andere Person. »Vielleicht ist sie hier runtergelaufen.« Ein Grunzen und dann Schritte, die sich in meine Richtung bewegten. Wohin führte diese Tür?
Mir blieb keine Zeit, um darüber nachzudenken.
Ich drückte die Klinke hinunter, huschte in den Raum und schloss leise die Tür.
Sofort stieg mir das Formaldehyd in die Nase und brachte alle Erinnerungen zurück.
Meine Augen tränten von den Chemikalien, dem hellen Licht in diesem hauptsächlich metallenen Raum, dessen Wände von quadratischen Schubladen gesäumt waren. Die Haut an meinen Armen prickelte von der Kälte, untermalt mit einem elektrischen Summen. Es war wie auf der Intensivstation, nur ausgedehnter und hohl, mit einer Reihe von Tischen für ausgewachsene Menschen statt für Babys.
Auf einem der Tische fiel mir ein blaues Tuch auf, das sorgfältig drapiert worden war. Über einem Menschen.
Einem toten Menschen.
Es war eine Frau, die hellen Haare hingen unter dem Laken heraus. Auf der anderen Seite lugten ihre Füße unter dem Tuch hervor, schwarz lackierte Fußnägel, auf einem glitzerte ein winziger Stern. Als würde sie nach einer langen Party einfach nur schlafen.
Ich wollte schreien, doch heraus kam nur ein Keuchen, noch nicht einmal ein richtiges Keuchen. Der Schreck hatte mir die Luft aus den Lungen gepresst. Ein Schrei hätte außerdem die Lebenden und die Toten herbeirufen können.
Erinnerungen schwappten in die Wirklichkeit, wie das Schild mit der rasiermesserscharfen Ecke draußen.
Alles geriet außer Kontrolle.
Ich musste hier raus.
Schwere Tritte waren auf der anderen Seite der Tür zu hören. »Meinst du, sie ist dadrin?«, fragte eine neue Stimme – der andere Wachmann. An der gegenüberliegenden Wand sah ich ein Ausgangsschild für ein Treppenhaus, aber es blieb mir keine Zeit mehr. Als die Tür aufging, versteckte ich mich in einer Ecke weiter hinten im Raum.
Klack. Shhhhhhh. Der Wachmann steckte seinen Kopf durch die Tür, während ich mich noch tiefer in die Ecke drückte.
»Niemand da«, rief er seinem Kollegen zu. »Hast du den anderen Gang kontrolliert?« Er warf die Tür zu.
»Ich suche weiter«, sagte der zweite Wachmann. »Ich hoffe, dass sie nicht eines Tages hier drin landet.« Die Schritte und Stimmen verklangen.
Ich schlüpfte durch eine Tür und fand irgendwie zurück auf die Intensivstation. Es war, als hätte
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