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Erzaehl mir ein Geheimnis

Erzaehl mir ein Geheimnis

Titel: Erzaehl mir ein Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Cupala
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Brustkorb des Babys in der Metalljacke hob und senkte sich unter der UV-Lampe. »Fly away, far away« , sang ich weiter, »i know why the caged bird sings.«
    Lexi lag einfach nur da, vielleicht hörte sie mich, vielleicht auch nicht. Bitte lieber Gott , dachte ich, während ich weitersang, hilf mir, dass sie mich hört. Zeig mir, dass sie mich hört. Ich wartete auf ein Zeichen von Lexi, die reglos dalag, eingewickelt in all diese Schläuche. Die Nadel in ihrem Bein war dicker als einer ihrer Finger. Mein Bein schmerzte an der gleichen Stelle, an der die Nadel aus ihrem Bein herausragte. Ich versuchte, mich auf das Singen zu konzentrieren. »I’ll await my next escape to meet …« Die Worte blieben mir im Hals stecken. »Das ist dumm. Du kannst mich nicht hören … to meet with you again.« Ich brach ab, presste meine Handflächen gegen das Glas und wünschte mir inständig, sie könnte mich spüren.
    »Du darfst nicht gehen, Baby.« Die Worte waren nicht mehr als ein Flüstern.
    Es ging nicht mehr um Xanda, ob das Baby ihr Geschenk an mich war oder nicht, ob sie das Ende war oder der Anfang. Lexi hatte sich mit Widerhaken in mein Herz gekrallt und jeder Atemzug, den sie nicht selbstständig machen konnte, riss mir ein Stück meines Herzens heraus.
    Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass es so sein würde.
    In diesem Moment streckte sie ihren Hals, runzelig wie der Rüssel eines Elefanten, und rollte ihren Kopf in meine Richtung. Ihre Augen, winzige, wimpernlose Schlitze, öffneten sich erst ein klein wenig und dann sah sie mich an. Ihre Pupillen waren strahlend blau – für mich die Farbe der Hoffnung.
    »Kannst du mich hören?«, flüsterte ich. Sie blinzelte einmal, zweimal, als wartete sie, dass ich etwas sagen würde.
    Es war nicht Xandas Labyrinth, in dem ich so lange umhergeirrt war, es war mein eigenes. Ich hatte geglaubt, meine Tochter wäre der Vogel, der mir den Ausweg zeigen würde, aber das war falsch. Sie konnte niemandem einen Ausweg zeigen, nicht einmal sich selbst.
    Das war der Beginn meiner Gespräche mit Lexi. Während die Eltern der anderen Babys kamen und gingen und neue Babys auf die Station gebracht wurden, blieb ich bei Lexi und schüttete ihr leise mein Herz aus. Ich trank Kaffee, um mich wach zu halten, damit ich weiterreden konnte. Ich sang ihr vor und erzählte ihr alles. Die Schwestern versuchten nicht mehr, mich daran zu erinnern, dass ich etwas essen und mich ausruhen sollte. Ich konnte Lexi einfach nicht verlassen.
    Ich machte so viele Bilder von ihr wie möglich, bis der Akku leer war und mein Handy mit siebzehn ungelesenen SMS ausging.
    Sie brachten mir einen Stapel Kinderbücher. Ich wollte ihr nicht die Gutenachtgeschichten vorlesen, stattdessen entschied ich mich für die Liebesgeschichten, wie Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab? oder The Runaway Bunny . Sie war mein Häschen, das versuchte wegzulaufen. Aber das würde ich nicht zulassen. Tag und Nacht stand ich an ihrem Brutkasten und berührte das Glas, immer in der Hoffnung, sie würde meine Anwesenheit spüren.
    »Hilft es ihr?«, fragte ich die Ärztin, als sie kam, um nach mir zu sehen.
    »Ja, es hilft. Für Lexi ist es wichtig zu wissen, dass du bei ihr bist.« Ihr Gesichtsausdruck wurde ernst. »Leider müssen wir dich jetzt entlassen. Du kannst aber jeden Tag hier sein, solange du willst, außer nachts und während die Schwestern ihre Runden drehen.«
    »Warten Sie! Ich werde rausgeworfen?«
    Sie nickte bedauernd. »Wie haben viele Patienten in diesem Krankenhaus. Du bist seit drei Wochen hier, viel länger als …«
    Ich wusste, ich konnte nicht ewig hierbleiben. Aber ausgerechnet jetzt? »Was ist mit Lexi?«
    »Du kannst die Elterneinrichtungen nutzen, wenn du hier bist, und dann ist da immer noch der Warteraum.« Sie nahm The Runaway Bunny in die Hand und blätterte darin. »Die Schwestern haben mir erzählt, dass deine Mom wieder hier war.«
    »Das ist mir egal.«
    »Ich bin sicher, du könntest nach Hause zurück, wenn du wolltest.« Sie schlug die Seite des Buches auf, auf der das Häschen auf einem Drahtseil balanciert. »Deine Mom sorgt sich um dich, auch wenn sie es nicht zeigen kann. So wie du dich um dein Baby sorgst.«
    »Sie ist kein bisschen wie ich«, fauchte ich. »Sie wäre glücklicher, wenn das Baby sterben würde.« War sie nicht auch glücklicher, dass Xanda gestorben war?
    »Ich bin sicher, dass du dich irrst.«
    Sie wusste nicht, was ich wusste. Andre hatte Xanda nicht getötet, sie war

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