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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Unterach nicht möglich. Kläglich zog ich mich aus den ersten Versuchen wieder zurück, aus dem Chabulas, aus dem Diepold, Heisenberg, aus den Hilf, Liebig, Kriszat, Sir Isaac Newton, die für ein Weiterkommen auf meinem Gebiet der Wald- und Forstwissenschaft, wie ich glaube, unerläßlich sind. Ich beschränkte mich auch in Unterach, mich meinem kranken Kopf fügend, bald nurmehr noch auf das Ausfindigmachen von Bildern, auf die bloße Zergliederung, auf das Herauslösen kleinerer aus den großen Substanzen der Farbhistorie, der ganzen Zustandgeschichte; wieder war ich, wie schon so oft, von einem Augenblick zum andern auf den elementaren Farbanschauungsunterricht zurechtund zurückgewiesen. Ja, ich verfiel in die erbärmlichsten Kategorien der Selbstbetrachtung und der von mir so bezeichneten Farbhysterie in mir, ständig alle meine Auswege beobachtend, ohne einen Ausweg zu finden; eine Fortsetzung meiner in den Grundzügen ja nur noch tierischen Existenz, hervorgerufen durch meinen Kopf, die Überanstrengung durch die Materie überhaupt, aber auf eine entsetzliche Weise, machte ich in Unterach durch. Weil ich fürchtete, meine unmittelbare Umwelt in dem Haus könnte darauf kommen, wie es um mich bestellt ist, schickte ich alle Dienstboten weg und befahl ihnen, das Haus so lange nicht mehr zu betreten, bis mein Bruder aus Amerika zurück und alles wieder in der gewohnten Ordnung ist. Ich versuchte, keinerlei Verdacht in bezug auf meine Krankheit, auf meine Krankhaftigkeit zu erwecken. Die Leute fügten sich und gingen zufrieden, überbezahlt und froh weg. Als sie draußen waren und ich keinerlei Veranlassung zur Beherrschung mehr hatte, und ich hatte mich in diesem Haus und unter diesen Menschen, wie ich mir selbst eingestehe, auf die fürchterlichste Weise ununterbrochen beherrschen müssen, wie ich jetzt nachrechne, zwei Wochen beherrschen müssen, verfiel ich augenblicklich meinen Zuständen. Ichschloß sämtliche Jalousien an der Vorderfront des Hauses, um nicht mehr hinausschauen zu müssen. Die Jalousien an der rückwärtigen Front zu schließen wäre unsinnig gewesen, denn die Fenster führten dort an den Hochwald. Bei offenen Jalousien und Fenstern kam vom Hochwald eine noch viel größere Finsternis in das Haus herein als bei geschlossenen. Nur die Jalousien und das Fenster des Zimmers, in welchem ich hauste, ließ ich offen. Von jeher mußte mein Zimmer ein offenes Fenster haben, wollte ich nicht ersticken. Tatsächlich habe ich, nachdem ich allein im Haus war, sofort einen zweiten Versuch, meine Studien fortzusetzen, gemacht, aber ich hatte da schon in den ersten Momenten meiner Beschäftigung mit der von mir ungebührlich vernachlässigten Lehre des Doktors Mantel , gewußt, daß meine Bemühung mit einem Fiasko enden wird. Ich mußte mich, bis auf das Existenzminimum meines Gehirns erniedrigt, aus meinen und aus den Büchern meiner Lehrer zurückziehen. Diese Erniedrigung, die immer zu katastrophalen Zuständen in meinem Hinterkopf führt, läßt mich dann nichts mehr aushalten. Immer nahe daran, völlig verrückt zu werden, aber doch nicht völlig verrückt, beherrsche ich dann mein Gehirn nurmehr noch für entsetzliche Kommandierungen meiner Hände und Füße, für Extraordinationen an meinem Körper. Was ich aber in diesem Haus am meisten fürchtete, und worüber ich meinem Bruder in Amerika nicht das geringste berichtete, im Gegenteil, ich schrieb ihm verabredungsgemäß wöchentlich zweimal, es ginge mir gut, ich wäre ihm dankbar, ich machte Fortschritte in meinen Studien genauso wie in meiner Gesundheit, ich liebte sein Haus und die ganze Umgebung, was ich aber am meisten in Unterach fürchtete, war die Dämmerung und die kurz auf die Dämmerung folgende Finsternis. Von dieser Dämmerung ist hier die Rede. Von dieser Finsternis. Nicht von den Ursachen dieser Dämmerung, dieser Finsternis, nicht von ihren Ursächlichkeiten , sondern allein davon, wie sich diese Dämmerung und diese Finsternis inUnterach auf mich auswirken. Aber wie ich sehe, habe ich im Augenblick gar nicht die Kraft, mich mit diesem Thema als einem Problem zu beschäftigen, als einem Problem für mich, und ich will mich auch nur auf Andeutungen beschränken, ich will mich überhaupt nur auf die Dämmerung in Unterach und auf die Finsternis in Unterach in bezug auf mich in dem Zustand, in welchem ich mich in Unterach befinde, beschränken. Ich habe ja auch gar keine Zeit für eine Studie, weil mein Kopf, weil die Krankheit

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