Erzaehlungen
habe sie sofort, nachdem ich wieder zu Hause war, in meinem Zimmer verstecken wollen, im Vorhaus verstecken wollen, und zwar aus wahrscheinlich auch in Zukunft völlig unaufgeklärt bleibenden Gründen; im ganzen Haus habe ich sie irgendwo verstecken wollen, aber ich habe keinen für die Mütze geeigneten Platz finden können, also habe ich sie aufgesetzt. Ich habe sie nicht mehr anschauen, aber auch nicht wegwerfen, vernichten können. Und jetzt bin ich schon mehrere Stunden lang im ganzen Haus umhergelaufen mit der Mütze auf dem Kopf, ohne sie anschauen zu müssen. Die ganzen letzten Stunden habe ich unter der Mütze verbracht, denn ich habe sie ja schon auf dem Heimweg aufgehabt und nur einen Augenblick lang vom Kopf heruntergenommen, um für sie einen geeigneten Platz zu suchen, und da ich keinen für sie geeigneten Platz gefunden habe, habe ich sie einfach wieder aufgesetzt. Aberimmer werde ich die Mütze auch nicht auf meinem Kopf haben können ... In Wahrheit bin ich ja schon die längste Zeit von dieser Mütze beherrscht, die ganze Zeit habe ich an nichts anderes als an die Mütze auf meinem Kopf gedacht ... Ich befürchte, daß dieser Zustand, die Mütze auf dem Kopf zu haben und von der Mütze auf meinem Kopf beherrscht zu sein, von ihr bis in die kleinsten und allerkleinsten Existenzmöglichkeiten meines Geistes wie meines Körpers, wohlgemerkt, wie meines Körpers, und sie nicht von meinem Kopf herunter zu nehmen, sie aufzubehalten und nicht herunter zu nehmen, mit meiner Krankheit zusammenhängt, das vermute ich: mit dieser Krankheit, die mir bis heute im ganzen neun Ärzte nicht haben erklären können, neun Ärzte wohlgemerkt, die ich alle in den letzten Monaten, bevor ich vor zwei Jahren mit den Ärzten Schluß gemacht habe, aufgesucht hatte; oft waren diese Ärzte für mich nur unter unvorstellbar schwierigen Bedingungen erreichbar und mit den ungeheuerlichsten Kosten verbunden gewesen. Bei dieser Gelegenheit habe ich die Unverschämtheit der Ärzte kennengelernt. Aber, denke ich jetzt, ich habe die Mütze den ganzen Abend lang aufgehabt und ich weiß nicht, warum ich sie aufgehabt habe! Und ich habe sie nicht vom Kopf heruntergenommen und weiß nicht, warum! Sie ist mir eine fürchterliche Last, als ob sie mir ein Schmied auf den Kopf geschmiedet hätte. Aber das ist alles nebensächlich, denn ich wollte ja nur notieren, wie ich zu der Mütze gekommen bin, festhalten, wo ich die Mütze gefunden habe und, natürlich, warum ich sie noch immer auf dem Kopf habe ... Das alles wäre mit einem einzigen Satz gesagt, wie alles mit einem einzigen Satz gesagt ist, aber niemand vermag alles mit einem einzigen Satz zu sagen ... Gestern um diese Zeit habe ich überhaupt noch nichts von der Mütze gewußt, und jetzt beherrscht mich die Mütze ... Noch dazu handelt es sich um eine ganz alltägliche Mütze, um eine von Hunderttausenden von Mützen! Aber alles, was ich denke, was ich fühle, was ich tue, was ich nicht tue, alles, was ichbin, was ich darstelle, ist von dieser Mütze beherrscht, alles, was ich bin, ist unter der Mütze, alles hängt auf einmal (für mich, für mich in Unterach! ) mit dieser Mütze zusammen, mit einer dieser Mützen, wie sie, das weiß ich, vornehmlich die Fleischhauer in der Gegend aufhaben, mit dieser derben, dicken, grauen Mütze. Es muß nicht unbedingt eine Fleischhauermütze sein, sie kann auch eine Holzfällermütze sein, auch die Holzfäller haben diese Mützen auf, auch die Bauern. Alle haben hier diese Mützen auf. Aber endlich zur Sache: es hat damit angefangen, daß ich nicht nach Burgau, den kürzeren, sondern nach Parschallen, den längeren Weg gelaufen bin, warum ich ausgerechnet gestern nicht nach Burgau, sondern nach Parschallen bin, weiß ich nicht. Auf einmal bin ich, anstatt nach rechts, nach links und nach Parschallen gelaufen. Burgau ist für meine Zustände besser. Ich habe eine große Abneigung gegen Parschallen. Burgau ist häßlich, Parschallen nicht. So sind auch die Menschen in Burgau häßlich, in Parschallen nicht. Burgau hat einen fürchterlichen Geruch, Parschallen nicht. Aber für meine Zustände ist Burgau besser. Trotzdem bin ich heute nach Parschallen gelaufen. Und auf dem Weg nach Parschallen habe ich dann die Mütze gefunden. Ich bin auf etwas Weiches getreten, zuerst habe ich geglaubt, auf ein Aas, auf eine tote Ratte, auf ein zerquetschtes Katzenvieh. Immer wenn ich in der Finsternis auf etwas Weiches trete, glaube ich, ich sei auf eine tote
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