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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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schlief ich ein, tatsächlich, ich schlief, obwohl ich schon lange Zeit, wie Siewissen, nicht mehr an ein Einschlafenkönnen gedacht hatte, hatte denken dürfen, ein ... Aber kaum war ich eingeschlafen, wachte ich wieder auf – und zwar durch ein Tier, durch ein aus dem Wald herausgetretenes Tier ... Dieser Vorgang hatte sich bis dahin schon wochenlang wiederholt ... Ich wache auf und ich höre das Tier, wochenlang höre ich das Tier unter meinem Fenster ... im Schnee ... jede Nacht um die gleiche Zeit höre ich unter meinem Fenster das Tier im Schnee ... Ich weiß nicht, um was für ein Tier es sich handelt, ich habe nicht die Kraft, aufzustehn und zum Fenster zu gehn und hinaus- und hinunterzuschauen ... Bis heute weiß ich nicht, um was für ein Tier es sich gehandelt hat ... Der Vorgang, daß ich nicht habe einschlafen können, dann aber doch eingeschlafen und danach sofort von dem Tier aufgeweckt worden bin, wiederholte sich, wie aus meinen Schlaflosigkeitsaufzeichnungen hervorgeht, genau sechsunddreißig Nächte lang. In der siebenunddreißigsten Nacht der gleiche Vorgang: ich habe nicht schlafen, nicht ein schlafen können, und während ich noch von dem Gedanken, nicht einschlafen zu können, nicht eingeschlafen zu sein, auf die fürchterlichste Weise erniedrigt bin, muß ich, wie in den sechsunddreißig Nächten vorher, doch eingeschlafen sein, denn ich bin auf einmal aufgewacht, durch das Tier aufgewacht, das unterhalb meines, wie Sie wissen, auch im strengsten Winter immer offenen Fensters in den Schnee getreten ist ... Futter suchend ... Da bin ich«, sagte der neue Erzieher, »aufgestanden und habe die Pistole, die ich während meiner ganzen Erzieherlaufbahn immer unter dem Kopfpolster habe, entsichert und habe dem Tier in den Kopf geschossen.«
    Wir schauten jetzt beide auf den Platz vor der Brauerei hinunter. »Natürlich sind alle aufgewacht«, sagte der neue Erzieher, »die Zöglinge zuerst, dann die Erzieher, die Professoren, der Anstaltsdirektor. Ich beobachtete, ich hörte, wie sie das erschossene Tier vom Zugbrunnen wegzogen, die Mauer entlang. Die Erzieher schleppten es ins Haus. Ichhörte sie meinen Namen rufen. Ein guter Schuß. Selbstverständlich quittierte ich augenblicklich den Dienst. Ein guter Schuß. Innsbruck ist mir verhaßt. Hier in Salzburg bemerke ich allerdings schon jetzt, nach allerkürzester Zeit, die Anzeichen eines neuen Unheils. Ich ersuche Sie, lieber Kollege«, sagte der neue Erzieher, »ausdrücklich um Verzeihung.«

D IE M ÜTZE
    Während mein Bruder, dem eine ungeheure Karriere vorausgesagt ist, in den Vereinigten Staaten von Amerika an den wichtigsten Universitäten Vorträge über seine Entdeckungen auf dem Gebiete der Mutationsforschung hält, worüber vor allem die wissenschaftlichen Blätter auch in Europa mit einem geradezu beängstigenden Enthusiasmus berichten, habe ich, der zahllosen auf den kranken Menschenkopf spezialisierten Institute in Mitteleuropa müde, in seinem Hause Quartier nehmen dürfen, und ich rechne es ihm hoch an, daß er mir das ganze Gebäude völlig bedingungslos zur Verfügung gestellt hat. Dieses Haus, ein Erbstück seiner vor einem halben Jahr ganz plötzlich verstorbenen Frau, das ich vorher niemals gesehen habe, ist mir in den ersten Wochen, in welchen ich es mit der mir eigenen Vorliebe für derartige alte, in ihren Proportionen, das heißt in ihren Gewichten und Maßen sich mit der allgemeinen und besonderen Naturharmonie vollkommen deckenden, habe bewohnen dürfen, entgegen sämtlichen Ahnungen, die mich jahrelang auf das tiefste zu quälen und bis in die Zellen hinein auf das tödlichste zu stören imstande gewesen waren, zur einzig möglichen Zuflucht für meine jedenfalls zweifelhafte Existenz geworden.
    Die ersten zwei Wochen in dem unmittelbar am Ufer des Attersees gelegenen Haus waren für mich eine solche Neuigkeit, daß ich aufatmete; mein Körper fing wieder zu leben an, mein Gehirn versuchte sich in einer mir schon abhandengekommenen, für den Gesunden wohl lächerlichen, für mich, den Kranken, aber doch ungemein erfreulichen Akrobatik.
    Ich konnte schon in den ersten Tagen in Unterach, wie die Ortschaft, in der das Haus meines Bruders steht, heißt, auf Zusammenhänge wenigstens schließen, mir die Welt auf einmal wieder als eine Gewohnheit vorstellen, mir einen Teil der Begriffe, der ganz persönlichen, für sogenannte Anfangszweckemeines wiederaufgelebten Denkens gefügig machen. Freilich, zu studieren war mir auch in

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