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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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aus einem Dachbodenfenster seines Hauses gestürzt. Er sei sofort tot gewesen, schreibt die Zeitung, schreibt Enderer. Was ihm aber, schreibt Enderer und uns darauf aufmerksam zu machen, sei ihm Verpflichtung, was ihm, Enderer, aber keine Ruhe gelassen habe, nachdem er die Zeitungsnotiz gelesen hat, wäre nicht Humer gewesen, nicht diese, wie Enderer schreibt, allem Anschein nach außergewöhnliche und zwar außergewöhnlich niederschlagende, in Wirklichkeit aber doch ganz alltägliche Lebensgeschichte eines letztenendes ganz einfachen Menschen, sondern der Wetterfleck, den der Mensch, Humer, angehabt habe und er, Enderer, habe sich angezogen, es sei schon vier Uhr Nachmittag und also schon finster gewesen, man weiß, die Novembertage sind kurz und sind eigentlich gar keine Tage, und sei in die Obere Saggengasse gegangen in das Bestattungswäschegeschäft Humer hinein und habe sofort gesagt, wer er, Enderer, sei und daß er wegen des Wetterflecks des Verstorbenen komme. Bei dem Wetterfleck des Verstorbenen, ich sagte natürlich nicht Selbstmörder , schreibt Enderer, handele es sich um den Wetterfleck meines vor acht Jahren in der Sill ertrunkenen Onkels Worringer, sagte ich. Durch Zufall sei mir der Umstand bekannt, daß es sich bei dem Wetterfleck des Verstorbenen um denWetterfleck meines Onkels handle. Ich sagte nichts von Humers Besuch in meiner Kanzlei, weil ich die ganze Sache als für mich abgeschlossen betrachtete, schreibt Enderer. Der junge Mann im Geschäft, zweifellos der Sohn des Verstorbenen, tat so, als seien ihm die mit dem Wetterfleck seines Vaters und also mit dem Wetterfleck meines Onkels Worringer zusammenhängenden Umstände bekannt und er sagte, ja, der Wetterfleck ist vor ein paar Jahren an der Sill angeschwemmt worden. Darauf, schreibt Enderer, ich: Ihr Herr Vater ist, wie ich weiß, tagtäglich an der Sill auf und ab gegangen. Ja, sagt der junge Mann und greift an den Kleiderständer und händigt mir ohne Umstände den Wetterfleck des Verstorbenen aus ...

A M O RTLER
N ACHRICHT AUS G OMAGOI
    Mitte Oktober machten wir uns von Gomagoi aus auf den Weg zu der uns schon vor fünfunddreißig Jahren von unseren Eltern hinterlassenen Sennhütte, einer kleinen Weidewirtschaft aus Mauerwerk auf dem Scheibenboden unter dem Ortlermassiv, unsere Absicht war gewesen, auf dem Scheibenboden oben zwei, drei Jahre gemeinsam zu verbringen, ungestört und gänzlich allein mit unseren Erfahrungen und Ideen und mit den Gedanken an eine uns jetzt, was mich betrifft, im achtundvierzigsten, was meinen Bruder betrifft, im einundfünfzigsten Jahre nichts mehr angehende Welt beschäftigt. Die achtzehnhundert Meter hoch gelegene Weidewirtschaft erschien uns in allem, was wir über sie in Erfahrung gebracht oder noch in Erinnerung hatten, als für unsere Zwecke, über die wir uns keinem Menschen gegenüber äußerten, weil wir unser Vorhaben absolut geheim und durch keinerlei Angaben darüber oder durch vorlautes unüberlegtes Geschwätz in Gefahr bringen und weil wir nicht für Narren gehalten werden wollten, am allergeeignetsten. Ein, nicht der letzte Grund, geehrter Herr, die Weidewirtschaft auf dem Scheibenboden zu reaktivieren, war der Gedanke an die außerordentliche Billigkeit einer Existenz im menschen- und dadurch ablenkungslosen Hochgebirge gewesen. Gut ausgerüstet und mit für wenigstens acht oder zehn Tage Proviant in unseren Rucksäcken (unsere Absicht war gewesen, den Besitz auf dem Scheibenboden zuerst einmal im Hinblick auf unser Vorhaben: Einzug in die Sennhütte Anfang November, in realistische Inspektion, auf seine Bewohnbarkeit hin in gründlichen Augenschein zu nehmen) ließen wir gegen vier Uhr früh Gomagoi hinter uns, die Nacht war klar, wir brauchten die englischen Lampen nicht und kamen durch Schweigsamkeit und in dem einzigen fortgesetzten und faszinierenden und absolut fesselnden Gedanken, keine Engagements,keine Wissenschaft einerseits, unsere phantastische Unternehmung andererseits, rasch vorwärts. Es zeigte sich aber bald, geehrter Herr, daß wir, obwohl ausschließlich mit unserer Unternehmung beschäftigt, mit der Sennhütte auf dem Scheibenboden als Ziel, doch für doppelte Schweigsamkeit ungeeignet, plötzlich mit mehreren Bemerkungen betreffend ganz anderes, unsere Schweigsamkeit unterbrechen mußten und wir waren aufeinmal in eine merkwürdige, uns zuerst irritierende, uns dann aber bald vollkommen geläufige und uns nicht zuletzt ein verabscheuungswürdiges Vergnügen machende

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