Erzaehlungen
schon mutiger sein, in Wien am Bahnhof – ich riskier's und nehm' einen Fiaker. Sie sah mich an und sagte mir: Ja, bist du verrückt? – Ich glaubte, eine Erklärung versuchen zu müssen: Wir hatten ja durch unsere frühere Abreise ein paar Tage auf dem Lande erspart. – An der Ecke ihrer Straße nahm sie zärtlich Abschied; natürlich durfte der Fiaker nicht bis vor ihr Haus fahren. – Das war gestern. Und heute soll folgendes geschehen: In einer Stunde trete ich vor sie hin – und zwar diesmal in meiner wahren Gestalt. Ich riskier's – denn sie liebt mich. Wir haben unser Rendezvous wie gewöhnlich draußen – nahe der Linie. Heute aber komme ich nicht mit fliegender Krawatte, zu Fuß und mit einem schwärmerischen Blick; nein, mit dem Fiaker komm' ich angefahren und einem namenlos eleganten Sommeranzug, einer Echarpe um acht Gulden, einem englischen Strohhut und werde Fräulein Pepi mit einem freundlichen Neigen des Kopfes einladen, an meiner Seite Platz zu nehmen, und ihr gesteh'n, daß ich ein schändliches Spiel mit ihr gespielt und daß ich ein wohlhabender Mann bin, der leider gar nicht dichten kann. – Es wird ein harter Schlag für sie sein; aber ihr Benehmen im Kupee erster Klasse läßt mich hoffen, daß es mir gelingen wird, sie zu trösten. Alles liegt bereit – ah, ich bin eigentlich glücklich, daß ich heute abend wieder wie ein vernünftiger Mensch auf die Straße gehen kann.
Jetzt aber legt sie die Arbeit weg und macht sich zum Spaziergang bereit. Armes Kind! Mir tut es eigentlich wohl, daß ich nun hoffentlich in die Möglichkeit versetzt sein werde, ihre Lage ein wenig zu verbessern. Und ich bin eine ganze Zeit, nämlich vierzehn Tage lang, um meiner selbst willen geliebt worden; was kann mir jetzt noch Schlimmes geschehen? Es wird spät, lieber Theodor, morgen schreib' ich Dir wieder!
Dein
Alfred
Josefine Weninger an Helene Beier in Paris
Meine gute Helene!
Vor allem bitte ich Dich recht schön um eines: schau Dir nicht die letzte Seite von diesem Brief an, bevor Du die erste gelesen hast; sonst ist der ganze Spaß verdorben. Aber wart, ich muß mir überlegen, was ich Dir zuletzt geschrieben. Ja, vom Land. Also denk Dir, wie wir eine Woche draußen sind auf dem Land, fangt's richtig zum regnen an. Jetzt stell Dir unsere Verzweiflung vor. Aber gottlob – es gibt ja Wagen und Eisenbahnen, und am selben Abend noch beschließen wir nach Wien hineinzufahren. Jetzt, stell Dir aber vor – nimmt mein armer Dichter, wie wir zur Bahn kommen, Billetts erster Klass'. Ich denk' mir natürlich, er spendiert das, damit wir sicher allein sind, und hab' mich auch im Kupee darnach benommen. Wie wir aussteigen, winkt er einem Fiaker. Ja, ich war paff. Aber ich muß sagen, es war auffallend, wie wohl mir wieder unter diesen besseren Verhältnissen war. – Also wie ich aussteige in der Näh' der Linie und mir wie gewöhnlich einen andern Wagen nehmen muß, um zu mir zu fahren, und wie ich endlich wieder zu Haus bin in meinem lieben, schönen, tapezierten, gemütlichen Zimmer mit dem Himmelbett, da kommt mir eine Idee. So geht das nicht weiter, hab' ich mir gedacht. Die Komödie muß aus werden, ja – aber warum denn auch das Wahre von der Komödie? Und das Wahre, das war halt, daß ich in meinen Dichter eigentlich noch immer sehr verliebt war, was ich besonders bemerkt hab', wie ich plötzlich nach acht Tagen so mutterseelenallein in meinem Zimmer gewesen bin. – Also, da hab' ich mir gedacht, demaskieren muß ich mich ja doch einmal, also lieber früher als später. Und besonders hat mich eine Idee immerfort geplagt, daß ich ihn nämlich einmal da, bei mir, gerad in meinem gemütlichen Zimmer haben müßte, um ihm so recht zu zeigen, wie gern ich ihn habe. Na, zum Schluß, noch vor dem Einschlafen, bin ich fest entschlossen gewesen, ihm am nächsten Tag alles aufzuklären. Also was tut Deine Pepi am nächsten Tag, vielmehr abends? Sie zieht sich nicht mehr das Stubenmädelkleid an, sondern eine elegante Straßentoilette (die dunkelgrüne, die Du kennst), setzt sich einen chicen Hut auf (einen, den Du nicht kennst, ich hab' ihn mir im Juni gekauft), nimmt den Schirm mit Schildkrotgriff vom Baron Lenghausen, setzt sich in einen Fiaker und fährt zur Linie – dorthin, wo ich eben mit ihm das Rendezvous gehabt hab'. – Es war halb acht, schon fast dunkel, und ich laß den Wagen halten; bleib' aber drin sitzen. Weißt Du, das Herz hat mir geklopft, das muß ich sagen, denn es hätte ja auch
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