Erzaehlungen
denn, siehst Du, daß ich sie verlassen werde, das weiß ich ja doch! Und es wird vielleicht nicht einmal besonders traurig sein. – Aber gerade das tut mir weh – ist das nicht sonderbar?
Manchmal denk' ich mir, wie ihr geschähe, wenn ich plötzlich in meiner wahren Gestalt vor sie hinträte. Ob da nicht der ganze Zauber vorbei wäre? Ob sie nicht eben meine Maske liebt? Sie würde es schmerzlich empfinden, wenn sie entdeckte, wie fern wir uns eigentlich im Leben stehen, denn sie hat manche Erlebnisse meiner Vergangenheit liebgewonnen. Es gibt Dinge, die sie sich gern wieder erzählen läßt. So hab' ich ihr schon drei- oder viermal eine ganz unglaubliche Geschichte von ein paar verzweifelten Tagen erzählt, in denen ich dem Selbstmord nahe war, weil ich fast verhungert wäre. Denn unsere Armut bringt uns einander nahe. Nun, ich glaube, sie verdient sich genug und hat augenblicklich keinen Mangel zu leiden. Aber Du hast gar keine Ahnung, wie rasend mich zuweilen die Lust erfaßt, das Leben dieses süßen, armen Geschöpfes reich und sorgenlos zu gestalten, und wie ich es doch nicht wagen würde, auch nur eine Andeutung in diesem Sinne zu machen. Ja, dann wär' alles vorbei. Blumen läßt sie sich schenken. Nächstens will ich's einmal mit einer Kleinigkeit versuchen, zum Beispiel ein winziges Herzchen aus Gold, das sie sich um den Hals hängen kann. Aber nun ist's genug, denn ich kann Dir ja doch das Rechte nicht sagen. Jugendliebe, ich finde kein anderes Wort! Ich beneide Dich selbst um Dein Neapel nicht mehr und um Deine Neapolitanerin. – Heute abend wollen wir wieder aufs Land. Da weiß ich nun wirklich nicht, was dann entzückender ist: die zärtlichen Stunden im Wald oder die Heimfahrt. Jetzt sind wir ein paar Mal mit dem Omnibus vom Land zurückgekommen – natürlich – weil's billiger ist –, und ich sollte nicht so viel Geld ausgeben, sagte sie neulich, als ich wieder einen Einspänner nehmen wollte. Nach dem, was sie vor mir erlebt, frag' ich sie wenig. Mir genügt die Empfindung, daß ich eine Art Erlösung für sie bedeute. Ich wollte gar nicht, daß sie gar nichts zu vergessen hätte! Da wäre sie ja nicht die, welche ich eigentlich suchte. Nein, ich wollte nicht das Mädchen, das ich verführe und das mir nachweint, nein, eines ihrer reifen Erlebnisse will ich bedeuten, aber das beste, das sie weder sich noch mir einmal vorzuwerfen hat. Ich werde eines Tages aus ihrer Existenz verschwinden, wie ich gekommen bin. Wie ich fühle, daß das Ende kommt, reise ich ab und schreibe ihr dann von da oder dort, aber ohne ihr zu sagen, daß ich eigentlich eine Komödie gespielt. Ich werde ein schöner Traum für sie gewesen sein. – Aber genug, genug. Du hörst bald wieder von mir, vielleicht nicht von Wien aus. Denn wir haben die Absicht, uns auf ein paar Tage aufs Land zurückzuziehen, ganz in die Einsamkeit – unter Bäumen, süß zu träumen, wie der Dichter der Gräfin Melanie sagt.
Lebe wohl für heute und schreibe mir doch auch bald wieder.
Dein
Alfred
Josefine Weninger an Helene Beier in Paris
Liebste Helene!
Nein, was hab' ich über Deinen Brief lachen müssen! Ja, wenn Du eine solche Angst um mich hast, da trau' ich mich ja kaum mehr, Dir was zu schreiben! – Aber ich riskier's. Ich bin verliebt, ja, ja, sogar riesig. Er ist ein so süßer Kerl. – Hast Du schon einmal ein Verhältnis mit einem Dichter gehabt? Ich meine, mit einem wirklichen, nicht mit einem von dem die Stück' oder die Operetten aufgeführt werden, sondern mit so einem, der nichts ist und nichts hat und wahrscheinlich nichts wird, so mit einem echten Dichter, der Gedichte macht und einen anschwärmt! Ah, das ist doch eine eigene Rasse. Von der Liebe will ich ja gar nicht reden, aber die Hochachtung! Wenn wir mitsammen am Abend spazierengehen, da ist's rein als wie eine Braut mit ihrem Bräutigam. Neulich haben wir einmal eine Nacht auf dem Land verbracht, und da hat's uns so gut gefallen, daß wir beschlossen haben, auf eine Woche oder zwei uns ganz in die Einsamkeit zurückzuziehen. Hoffentlich wird was daraus, ich hab' nur eine Angst, daß er sich das Geld dazu irgendwo ausleihen muß. Denn wie der Mensch kein Geld hat, das ist geradezu komisch. Ich merk's ihm an, wie wohl es ihm tut, wenn ich ihn von großen Ausgaben zurückhalte, wie zum Beispiel – jetzt wirst Du lachen – von einem Comfortable! Na, ich kann ihm natürlich nichts antragen, das wäre gefehlt! Ich, die arme Kunststickerin. Oh, Du wärst erstaunt,
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