Erzaehlungen
vornherein an etwas anderes gedacht habe, als einmal einen guten Spaß in Szene zu setzen: aber es ist mehr, es ist etwas Gutes, etwas, ja ich möchte sagen, Sinniges, was wir tun, indem wir einmal so einem armen Teufel eine Freud' machen, an den im allgemeinen kein Mensch denkt. Die Großen werden genug gefeiert, find' ich; aber zum Theaterspielen braucht man die Kleinen grad' so notwendig.«
»Das ist richtig,« warf Emerich ein.
»Darum hat mein Spaß einen tieferen Sinn, und wenn die Leut im Theater heut abends darauf eingehen, woran ja gar nicht zu zweifeln ist, und mitapplaudieren, so werden sie, vielleicht ohne es zu ahnen, in der Person des Herrn Roland all den kleinen Leuten eine Ovation bringen, die sie gewöhnlich vergessen.«
»Gewiß ohne es zu ahnen,« sagte Fred. »Denn du hast's ja auch vor fünf Minuten noch nicht geahnt, was du eigentlich für ein edler Mensch bist.«
»Der Emerich hat ganz recht gehabt,« bemerkte August rasch.
Emerich machte ein wichtiges Gesicht und fragte sich, worin er wohl recht gehabt hätte.
»Daß man dir nämlich überhaupt nichts erzählen soll,« fuhr August fort; worauf Emerich erschrak und Fred mit einer Art verständnisvoller Zärtlichkeit ansah.
»Du verdirbst einem zu allem die Laune,« sagte August.
»Ich versteh' dich wirklich nicht,« lachte Fred. »Du bist so erregt, als wenn du dich irgendwie getroffen fühltest. Alles Edle geschieht ja unbewußt, sonst wär' es gar nicht edel. Irgendeinem ordinären Kerl fällt ein Spaß ein, und er wird naturgemäß eine Gemeinheit, – dir fällt ein Spaß ein, und er wird naturgemäß eine gute Tat.«
August sah ihn mit einem bösen Blick an. »Wirst du uns vielleicht das Vergnügen rauben, in deiner Gesellschaft der Vorstellung beizuwohnen?«
»Durchaus nicht,« antwortete Fred harmlos; »außerdem hast du mich ja auch eingeladen, nachher mit dir, Emerich und der Blandini zu soupieren.«
»Ich hatte vergessen.«
»Aber ich nicht.«
»Es ist Zeit, zu gehen,« sagte August.
Sie zahlten, verließen das Lokal und fuhren ins Theater. Emerich betrachtete auf dem Wege bald den einen, bald den andern und ahnte, daß hier zwei Menschen in irgendeinem wichtigen Punkt nicht ganz gleicher Ansicht wären. So faßte er sich, als sie ausstiegen und die Treppe zum Logen gang hinaufschritten, ein Herz und sagte: »Kinder, seid's doch gescheit! ...«
August antwortete nichts. Fred aber drückte Emerich die Hand und sagte: »Ich werde versuchen.«
Die Logentür wurde geöffnet, und den drei Freunden klangen die ersten Akkorde der Ouvertüre lustig entgegen.
II
Der erste Akt war zu Ende.
Friedrich Roland saß in der Garderobe, allein. Er war mit einem phantastischen Kostüm angetan – schwarzrotsamtenes Wams und dunkelblaue Trikots – und trug eine Perücke von herrlichen, kastanienbraunen Locken, auf der ein Barett saß. Den Degen hatte er über die Knie gelegt und starrte in den Spiegel, aus dem ihm sein jugendlich rot geschminktes Gesicht mit dem falschen Schnurrbart entgegensah. So saß er beinahe regungslos schon seit Beginn des Stückes da. Jetzt hörte er durch die geschlossene Tür die Schritte und Stimmen der Choristen, die an ihm vorüber von der Bühne in den Ankleideraum eilten; dann wurde es wieder still. Roland war froh, daß er allein war; die neue Operette war ihm beinahe lieb, weil von den zwei Kollegen, mit denen er sonst die Garderobe zu teilen hatte, keiner beschäftigt war. Das waren nämlich Menschen, mit denen er sich nicht verstand; zufriedene Leute, die ihre geringe Kunst seit jeher als brave Handwerker betrieben hatten und nichts von ihr verlangten als ein bescheidenes Auslangen, das sie ihnen auch gewährte. Roland wußte wohl, daß er heute als ihresgleichen gelten mußte, aber er fühlte zugleich, daß er in Wahrheit durchaus nicht zu ihnen gehörte. Er hätte was ganz anderes werden können, wenn er Glück gehabt hätte. Daran dachte er jetzt, als er geschminkt vor dem Spiegel saß; wie er Stunde für Stunde daran dachte. Noch heute, nach zehnjährigem Engagement an diesem Theater, konnte er es nicht ohne ein dumpfes Gefühl des Grolles und der Scham betreten, und niemals hatte er das zu verbergen gewußt. So hatten seine Kollegen bald mit dem feinen Spürsinn niederer Menschen herausgefunden, wo er am empfindlichsten zu treffen war, und jede Äußerung seines Wesens: die Art, wie er leise und müde zu reden, wie er langsam und scheinbar stolz einherzuschreiten pflegte, ja selbst eine
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