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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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bewegt.
    »Sie haben es für eine Laune gehalten« – »o gewiß!« setzte sie lebhaft hinzu, als sie merkte, daß ich etwas entgegnen wollte – »aber ich sage Ihnen, es war keine. Ich habe mehr gelitten in jenem Jahre, als ein Mensch weiß.«
    »In welchem?«
    »Nun ... als Sie bei uns ... Warum fragen Sie das? – Anfangs habe ich mir selbst ... Aber warum erzähle ich Ihnen das?«
    Ich faßte heftig ihren Arm. »Erzählen Sie ... ich bitte Sie ... ich habe Sie ja lieb.«
    »Und ich dich,« rief sie plötzlich aus; nahm meine beiden Hände und küßte sie – »immer – immer.«
    »Ich bitte dich, erzähle mir weiter,« sagte ich; »und alles, alles ...«
    Sie sprach, während wir langsam den Feldweg in der Sonne weiterschritten.
    »Anfangs habe ich mir selbst gesagt: er ist ein Kind ... wie eine Mutter habe ich ihn gern. Aber je näher die Stunde kam, um die Sie abreisen sollten ...«
    Sie unterbrach sich eine Weile, dann sprach sie weiter:
    »Und endlich war die Stunde da. – Ich habe nicht zu dir wollen – ich weiß nicht, was mich hinaufgetrieben hat. Und wie ich schon bei dir war, hab ich dich auch nicht küssen wollen – aber ...«
    »Weiter, weiter,« sagte ich.
    »Und dann hab ich dir plötzlich gesagt, daß du gehen sollst – du hast wohl gemeint, das ganze war eine Komödie, nicht wahr?«
    »Ich verstehe dich nicht.«
    »Das habe ich die ganze Zeit gedacht. Ich habe dir sogar schreiben wollen ... Aber wozu? ... Also ... der Grund, daß ich dich weggeschickt habe, war ... Ich hatte mit einem Male Angst bekommen.«
    »Das weiß ich.«
    »Wenn du das weißt – warum hab ich nie wieder von dir gehört?« rief sie lebhaft aus.
    »Warum hast du Angst bekommen?« fragte ich, allmählich verstehend.
    »Weil ich glaubte, es wäre jemand in der Nähe.«
    »Du glaubtest? Wie kam das?«
    »Ich meinte Schritte auf dem Gang zu hören. Das wars. Schritte! Ich dachte,
er
wär es ... Da hat mich die Furcht gepackt – denn es wäre entsetzlich gewesen, wenn er – o, ich will gar nicht daran denken. – Aber niemand war da – niemand. Erst spät am Abend ist er nach Hause gekommen, du warst längst, längst fort.« –
    Während sie das erzählte, fühlte ich, wie irgend etwas in meinem Innern erstarrte. Und als sie geendet hatte, schaute ich sie an, als müßte ich sie fragen: Wer bist du? – Ich wandte mich unwillkürlich nach dem Hafen, wo ich die Segel unseres Bootes glänzen sah, und ich dachte: Wie lange, wie unendlich lange ist es her, daß wir auf diese Insel gekommen sind? Denn ich bin mit einer Frau hier gelandet, die ich geliebt habe, und jetzt geht eine Fremde an meiner Seite. Es war mir unmöglich, auch nur ein Wort zu sprechen. Sie merkte es kaum; sie hatte sich in meinen Arm gehängt und hielt es wohl für zärtliches Schweigen. Ich dachte an
ihn.
Er hat es ihr also nie gesagt! Sie weiß es nicht, sie hat es nie gewußt, daß er sie zu meinen Füßen liegen sah. Er hat sich damals von der Tür wieder davongeschlichen und ist erst später .... stundenlang später zurückgekommen und hat ihr nichts gesagt! Und er hat die ganzen Jahre an ihrer Seite weitergelebt, ohne sich mit einem Worte zu verraten! Er hat ihr verziehen – und sie hat es nicht gewußt!
    Wir waren in der Nähe der Kirche angelangt; kaum zehn Schritte vor uns lag sie. Hier bog ein steiler Weg ab, der in wenigen Minuten ins Dorf führen mußte. Ich schlug ihn ein. Sie folgte mir.
    »Gib mir die Hand,« sagte sie, »ich gleite aus.« Ich reichte sie ihr, ohne mich umzuwenden. »Was hast du denn?« fragte sie. Ich konnte nichts antworten und drückte ihr nur heftig die Hand, was sie zu beruhigen schien. Dann sagte ich, nur um etwas zu reden: »Es ist schade, wir hätten die Kirche besichtigen können.« – Sie lachte: »An der sind wir ja vorüber, ohne es zu merken!«
    »Wollen Sie zurück?« fragte ich.
    »O nein, ich freue mich, bald wieder im Boot zu sitzen. Einmal möchte ich mit Ihnen allein so eine Segelpartie machen, ohne diesen Mann.«
    »Ich verstehe mich nicht auf Segeln.«
    »O,« sagte sie und hielt inne, als wäre ihr plötzlich etwas eingefallen, was sie doch nicht sagen wollte. – Ich fragte nicht. Bald waren wir auf der Brücke. Das Boot lag bereit. Die Kinder waren wieder da, die uns beim Kommen begrüßt hatten. Sie sahen uns mit großen blauen Augen an. Wir segelten ab. Das Meer war ruhiger geworden; wenn man die Augen schloß, merkte man kaum, daß man sich in Bewegung befand.
    »Zu meinen Füßen sollen Sie

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