Erzaehlungen
zuweilen auf ihm ruhten blieben, glaubte er nicht mehr. Seit ein paar Wochen geschah es manchmal, daß er auf dem kleinen Tisch in seiner Garderobe Veilchen fand; er forschte gar nicht, woher sie kamen; gewiß war es ein Scherz, wie man sie schon manchmal an ihm verübt hatte; ein Scherz, wie die süßen Briefchen, mit denen man ihn zu Stelldicheins gelockt, wo entweder niemand erschienen war oder der Souffleur oder gar ein paar Damen vom Chor, die sich köstlich über sein verdutztes Gesicht amüsiert hatten.
Die Veilchen waren auch heute wieder da; er hatte sie gar nicht angerührt. Und wenn sie selbst ernst gemeint waren, was lag ihm daran? – Er war so schwer bedrückt, daß ihm keine Freude mehr werden konnte. Er spürte nichts mehr als seine Einsamkeit und seine Lächerlichkeit. Manchmal fuhr ihm durch den Sinn: wie soll das enden? Und da kamen ihm sonderbare Einfälle, die er immer wieder von sich wies. Nur einmal hatte er eine Idee gehabt, die ihn längere Zeit festhielt: Er wollte es nämlich in die Zeitung geben, wie ihn die Leute quälten, und einen Appell an das Publikum erlassen, der mit den Worten anfangen sollte: Ihr edlen Menschen! Er hatte ihn einmal zu schreiben angefangen, hier in der Garderobe, denn sein Tisch zu Hause wackelte immer – aber er wollte ihm nicht gelingen. Es kam ihm vor wie ein Bettelbrief. Und dann hätten sie doch gelacht. Etwas anderes war ihm später eingefallen. Er wollte einmal mit der Blandini, der Primadonna des Theaters, die zuweilen auf der Probe ein paar gute Worte mit ihm sprach, ernstlich reden; er wollte ihr vorstellen, daß er doch eigentlich gar nicht so komisch war, wie die Leute sich immer einbildeten, aber ... er wagte es nicht. Und dann war ihm einmal, als er vom Wirtshaus ein wenig betrunken in der Nacht nach Hause ging, etwas ganz Tolles in den Sinn gekommen: er wollte bei nächster Gelegenheit mitten auf der Szene auf die Knie fallen und geradezu zu beten anfangen: O edle Menschen – und ihnen sein ganzes Leid klagen und sein Elend; und er wußte, daß er da wunderbare Töne finden würde, denen niemand widerstehen könnte; man müßte bei dieser Gelegenheit sogar erkennen, daß er ein großer Schauspieler war, und viele würden weinen und er selbst vielleicht mit ihnen. – Dieser Einfall kam ihm öfter wieder, aber nicht wie etwas, woran man ernsthaft denken dürfte, sondern wie die Erinnerung an einen lebhaften und schönen Traum.
Die Klingel, die ihn auf die Bühne rief, schrillte. Er stand auf, trat auf den Gang und schritt gemächlich die zehn Holzstufen hinab. Nun stand er hinter den Kulissen. Einige Choristen sagten ihm guten Abend. Roland ging ein paar Schritte weiter und stellte sich knapp hinter die Tür, aus der er auf die Szene hinaustreten sollte. Er hörte die Blandini singen; er erwartete sein Stichwort ... So ... jetzt war es da; der Inspizient, der neben ihm stand, gab ein Zeichen; zwei Arbeiter zu beiden Seiten öffneten die Tür, und Roland trat auf die Bühne. Aber es war etwas zu früh. Der Inspizient hatte voreilig das Zeichen gegeben, die Tür zu öffnen. Denn eben hatte sich ein starker Applaus erhoben, der offenbar der Blandini galt. Ihre Beliebtheit wächst noch immer, dachte er, selbst nach den paar Takten ein solcher Beifall! ... Das wollte ja gar nicht aufhören. – Und Roland sah unwillkürlich die Blandini an, die anfangs ins Publikum hinausgeschaut hatte und sich jetzt zu ihm wandte. Er hörte sie flüstern: »Verstehen Sie das?« ... Und der Applaus wurde immer stärker. Roland blickte auf die Galerie ... Plötzlich glaubte er ganz deutlich unter den Bravorufen auch seinen Namen zu hören ... Ah – er hatte sich gewiß getäuscht. Die Blandini sagte: »Hören Sie?« Roland antwortete: »Ja.« »
Ihr
Name,« sagte die Blandini ... Der Applaus dauerte in gleicher Stärke fort. Und die Rufe ›Roland‹ wurden immer lauter. »Was ist das?« dachte Roland, »bin ich wahnsinnig geworden? Träum' ich?« »Reden Sie,« flüsterte die Blandini. – »Was?« fragte Roland verwirrt. – »Nun, Ihr Worte ... vom Geschmeide.« – Und Roland begann zu sprechen: »Schöne Dame, dieses Geschmeide ...« Aber er drang nicht durch. Der Applaus dauerte fort; einige Zischlaute mischten sich drein, worauf er noch lärmender wurde. »Kränze,« sagte die Blandini. Und Roland, in der Überzeugung, sie seien für die Blandini bestimmt, eilte zur Rampe vor, bückte sich und nahm einen riesigen Lorbeerkranz, den er sofort der Sängerin
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