Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
Vom Netzwerk:
lebhaft zu. Aber als Berta sechsundzwanzig alt wurde und der Vater durch einen Bankerott sein kleines Vermögen verlor, mußte sie verspätete Vorwürfe hören wegen aller möglichen Dinge, die sie selbst zu vergessen anfing: wegen ihrer früheren künstlerischen Pläne, wegen jener längstvergangenen aussichtslosen Geschichte mit dem Violinspieler, wegen ihrer ablehnenden Haltung gegen den häßlichen Arzt und den Kaufmann aus der Provinz. Zu dieser Zeit war Victor Mathias Garlan nicht mehr in Wien ansässig; die Versicherungsgesellschaft, in der er seit seinem zwanzigsten Jahr als Beamter tätig war, hatte ihn vor zwei Jahren, auf seinen eigenen Wunsch, als Leiter einer neugegründeten Filiale nach der kleinen Stadt an der Donau versetzt, wo sein verheirateter Bruder als Weinhändler lebte. Als er damals in Bertas Hause Abschied genommen, hatte er in einem längeren Gespräch, das auf Berta einen gewissen Eindruck übte, erwähnt, daß er besonders deshalb um seine Versetzung nach der kleinen Stadt angesucht, weil er sich alt werden fühlte, nicht mehr zu heiraten gedächte und doch gern eine Art Heim bei Leuten hätte, die ihm naheständen. Die Eltern hatten damals über seine Auffassung, die etwas hypochondrisch schien, gescherzt; denn Garlan war kaum vierzig Jahre alt. Berta aber fand sie sehr vernünftig, denn ihr war Garlan nie eigentlich jung vorgekommen. Im Lauf der nächsten Jahre kam Victor Mathias Garlan öfters geschäftlich nach Wien und versäumte niemals, die Familie aufzusuchen. Dann pflegte Berta nach dem Nachtmahl Klavier vorzuspielen, und er hörte ihr mit einer gewissen Andacht zu, sprach wohl auch von seinem kleinen Neffen und von seiner kleinen Nichte, die beide sehr musikalisch wären und der er oft von Fräulein Berta erzählte als der vorzüglichsten Klavierspielerin, die er je gehört. Es schien sonderbar, und die Mutter konnte gelegentlich ihre Bemerkungen darüber nicht unterdrücken, daß Herr Garlan seit seiner schüchternen Werbung in früherer Zeit auch nicht mehr die leiseste Anspielung auf Vergangenes oder gar auf eine mögliche Zukunft gewagt hatte, und zu den anderen Vorwürfen, die Berta zu hören bekam, gesellte sich nun auch der, daß sie Herrn Garlan mit zu großer Gleichgültigkeit, ja mit Kälte begegnete. Berta schüttelte nur den Kopf, denn sie selbst dachte auch damals noch nicht daran, den etwas unbeholfenen Mann, der vor der Zeit alterte, zu heiraten. Nach dem plötzlichen Tod der Mutter, welcher erfolgte, während der Vater schon durch viele Monate krank war, erschien Herr Garlan wieder in Wien und teilte mit, daß er einen vierwöchigen Urlaub genommen, den einzigen, um den er jemals angesucht hatte. Berta merkte wohl, daß er nur gekommen war, um ihr in dieser schweren Zeit beizustehen. Und als nun auch der Vater eine Woche nach dem Begräbnis der Mutter starb, erwies sich Garlan als treuer Freund und zudem von einer Energie, die sie ihm nie zugetraut hatte. Er veranlaßte seine Schwägerin, auf einige Wochen nach Wien zu kommen, um der Verwaisten in der ersten Zeit beizustehen und sie ein wenig zu zerstreuen; und er ordnete die geschäftlichen Angelegenheiten geschickt und schnell. Er war von einer Herzlichkeit, die Berta in diesen schlimmen Tagen sehr wohl tat, und als er sie nach Ablauf seines Urlaubs fragte, ob sie seine Frau werden wollte, nahm sie seinen Antrag mit dem Gefühl der tiefsten Dankbarkeit an. Sie wußte wohl, daß sie sonst genötigt gewesen wäre, sich nach wenigen Monaten vielleicht durch Lektionen ihr Brot selbst zu verdienen, überdies hatte sie Garlan so schätzen gelernt und sich so sehr an ihn gewöhnt, daß sie ihm in der Stunde, da er sie in die Kirche zur Trauung führte und im Wagen zum erstenmal fragte, ob sie ihn lieb hätte, ein aufrichtiges Ja zur Antwort geben konnte.
    Schon in den ersten Tagen merkte sie freilich selbst, daß sie keine liebe für ihn fühlte. Seine Zärtlichkeit ließ sie sich eben gefallen, anfangs mit einem gewissen Staunen der Enttäuschung, später mit Gleichgültigkeit, und, erst als sie sich Mutter fühlte, mit dem guten Willen, sie zu erwidern. An das stille Wesen in der kleinen Stadt hatte sie sich rasch gewöhnt, um so leichter, als sie auch in Wien zurückgezogen gelebt hatte. In der Familie ihres Mannes fühlte sie sich recht wohl; der Schwager schien ihr ganz liebenswürdig und lustig, wenn auch mitunter derb; seine Frau war gutmütig und zuweilen etwas traurig. Der Neffe – zur Zeit, als Berta in die

Weitere Kostenlose Bücher