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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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mit Ferdinand, vor zehn Jahren schon, in demselben Sommer also, als sie die neugebaute Villa bezogen hatten. Doch sie vermochte es gar nicht zu fassen, daß es dieselbe Wiese sein sollte, auf der sie heute ruhte: so völlig anders, weiterhingestreckt und leuchtender, hatte sie sie in der Erinnerung bewahrt. Eine sanfte Traurigkeit schlich sich in ihr Herz. Wie allein sie doch war unter all den Leuten. Was sollte ihr die Lustigkeit und das Geplauder ringsherum? Da lagen sie nun alle auf der Wiese und ließen die Gläser aneinanderklingen. Fritz rührte mit dem seinen an das Beatens; aber dann, während sie das ihre schon längst geleert hatte, hielt er das seine noch immer regungslos in der Hand und starrte sie an. Welch ein Blick! dachte Beate. Noch verzückter und durstiger als die, mit denen er mich in den letzten Tagen daheim anzustrahlen pflegt. Oder scheint es mir so, weil ich so rasch hintereinander drei Glas Wein getrunken habe? Sie streckte sich wieder der Länge nach auf ihren Plaid hin, an die Seite der Baumeisterin, die fest eingeschlafen war, blinzelte in die Luft und sah ein schmales Rauchwölkchen elegant in die Höhe steigen, – von der Zigarette Bertrams jedenfalls, den sie im übrigen nicht sehen konnte. Aber sie spürte, wie sein Blick sich ihr entlang schmeichelte bis an ihren Nacken, wo sie ihn eine Weile körperlich zu empfinden glaubte, bis sie endlich merkte, daß es ein Grashalm war, der sie kitzelte. Wie von fern klang die Stimme des Baumeisters an ihr Ohr, der den Buben von der Zeit berichtete, da dort unten die kleine Bahn noch nicht verkehrt hatte; und obwohl seither noch keine fünfzehn Jahre verstrichen waren, wußte er um diese Epoche eine Atmosphäre von grauem Altertum zu verbreiten. Unter anderem erzählte er von einem betrunkenen Kutscher, der ihn damals in den See hineingefahren und den er daraufhin beinahe totgeprügelt hatte. Dann gab Fritz eine Heldentat zum besten; im Wiener Wald hatte er jüngst einen höchst bedenklichen Kerl einfach dadurch in die Flucht gejagt, daß er in die Tasche griff, als wenn er dort seinen Revolver verwahrt hätte. Denn auf Geistesgegenwart kam es an, wie er erläuternd bemerkte, nicht auf den Revolver. »Nur schad',« sagte der Baumeister, »daß man nicht immer eine sechsläufig geladene Geistesgegenwart bei sich hat.« Die Buben lachten. Wie kannte es Beate, dieses herzliche, doppelstimmige Lachen, an dem sie nun so oft daheim während der Mahlzeiten und in ihrem Garten sich freuen durfte: und wie recht war es ihr, daß die Buben sich so trefflich vertrugen. Neulich waren sie sogar zwei Tage lang zusammen fortgewesen, wohlausgerüstet, auf einer Tour nach den Gosauseen, als Vorbereitung für die geplante Septemberwanderung. Allerdings waren sie schon von Wien her enger befreundet, als Beate gewußt hatte. So hatte sie als eine Neuigkeit, die ihr Hugo törichterweise verschwiegen, unter anderen erfahren, daß die beiden zuweilen abends nach der Turnstunde in einem Vorstadtkaffeehaus Billard zu spielen pflegten. Aber in jedem Fall fühlte sie sich Fritz für sein Hierherkommen im Innersten dankbar. Hugo war nun wieder so frisch und unbefangen wie je, der schmerzlich gespannte Zug war von seinem Antlitz gewichen, und er dachte gewiß nicht mehr an die gefährliche Dame mit dem Pierrotgesicht und dem rotgefärbten Haar. Übrigens konnte Beate auch der Baronin das Zugeständnis nicht versagen, daß sie sich tadellos benahm. Vor ein paar Tagen erst hatte es der Zufall gefügt, daß sie auf der Galerie der Badeanstalt neben Beate stand, gerade als Hugo und Fritz, um die Wette wie gewöhnlich, aus dem offenen See herangeschwommen kamen; zugleich erwischten sie die glitschige Stiege, jeder mit einem Arm sich festhaltend, spritzten einander Wasser ins Gesicht, lachten, ließen sich sinken und tauchten erst ganz weit draußen wieder in die Höhe. Fortunata, in ihren weißen Bademantel gehüllt, hatte flüchtig zugeschaut, mit abwesendem Lächeln, wie dem Spiel von Kindern, und dann wieder über den See hingeblickt, mit verlorenen traurigen Augen, so daß Beate mit leiser Unzufriedenheit, ja, fast schuldbewußt, sich jenes merkwürdigen und immerhin etwas verletzenden Gespräches in der weißbeflaggten Villa erinnern mußte, das die Baronin selbst offenbar schon vergessen und verziehen hatte. Einmal abends, auf einer Bank am Waldesrand, hatte Beate auch den Baron gesehen, der wohl nur auf ein paar Tage zu Besuch gekommen war. Er hatte hellblondes Haar, ein

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