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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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bartloses durchfurchtes und doch junges Gesicht mit stahlgrauen Augen, trug einen hellblauen Flanellanzug, rauchte eine kurze Pfeife, und neben ihm auf der Bank lag seine Marinekappe. Für Beate sah er aus wie ein Kapitän, der aus fernen Landen kam und gleich wieder auf See mußte. Fortunata saß neben ihm, klein, wohlerzogen, die rötliche Nase vorgestreckt, mit müden Armen: wie eine Puppe, die der ferne Kapitän ganz nach Belieben aus dem Schrank holen und wieder hineinhängen konnte.
    Dies alles ging Beate durch den Kopf, während sie auf der Almwiese lag, der Wind durch ihre Haare strich und Grashalme ihren Nacken kitzelten. Ringsum war es jetzt ganz still, alle schienen zu schlafen; nur in einiger Entfernung pfiff jemand ganz leise. Unwillkürlich mit blinzelnden Augen suchte Beate wieder nach der eleganten kleinen Rauchwolke und entdeckte sie bald, wie sie silbergrau und dünn in die Höhe stieg. Beate hob ein klein wenig den Kopf, da gewahrte sie den Doktor Bertram, der das Haupt auf beide Arme gestützt und seinen Blick angelegentlich in Beatens Halsausschnitt versenkt hatte. Er sprach übrigens auch, und es war nicht unmöglich, daß er schon eine geraume Zeit gesprochen, ja sogar, daß sein Reden Beate erst aus dem Halbschlummer erweckt hatte. Eben fragte er sie, ob sie wohl Lust verspüre zu einer wirklichen Bergpartie, zu einer ordentlichen Felsenkletterei, oder ob sie den Schwindel furchte; es müßte übrigens nicht durchaus ein Felsen sein, auch irgendein Plateau genüge ihm vollkommen; nur höher als das hier sollte es sein, viel höher, so daß die anderen gar nicht mitkönnten. Mit ihr allein von einer Spitze ins Tal hinabzuschauen, das stellte er sich herrlich vor. Da er keine Antwort erhielt, fragte er: »Nun, Frau Beate?« – »Ich schlafe«, erwiderte Beate. – »So erlauben Sie mir, Ihr Traum zu sein, gnädige Frau«, begann er und sprach leise weiter: daß es keinen schönern Tod gäbe als durch Absturz in die Tiefe; das ganze Leben ziehe noch einmal vorbei in einer ungeheuren Klarheit, und das sei natürlich um so vergnüglicher, je mehr Schönes man vorher erlebt habe; auch fühle man nicht die geringste Angst, nur eine unerhörte Spannung, eine Art von ... ja, von metaphysischer Neugier. Und er grub das ausgeglühte Zigarettenstümpfchen mit hastigen Fingern ins Erdreich ein. Im übrigen, fuhr er fort, käme es ihm nicht gerade aufs Abstürzen an, im Gegenteil. Denn er, der in seinem Berufe so viel Dunkles und Grauenhaftes schauen müsse, wisse alles Lichte und Holde des Daseins um so mehr zu schätzen. Und ob sich Beate nicht einmal den Krankenhausgarten ansehen wolle? Über dem schwebe eine ganz seltsame Stimmung; besonders an Herbstabenden. Er wohne jetzt nämlich im Krankenhaus. Und wenn Beate bei dieser Gelegenheit etwa den Tee bei ihm nehmen wollte –
    »Sie sind wohl verrückt geworden«, sagte Beate, richtete sich auf und sah mit klaren Augen in die blaugoldene Helle ringsum, die die matten Berglinien aufzuzehren schien. Sonnendurchtränkt, überwach, erhob sie sich, schüttelte ihr Kleid und merkte dabei, daß sie zu Doktor Bertram ganz gegen ihren Willen wie ermutigend niederschaute. Eilig blickte sie fort, zu Leonie hin, die in einiger Ferne ganz allein stand, bildhaft, einen wehenden Schleier um ihren Kopf geschlungen. Der Baumeister und die Buben, mit untergeschlagenen Beinen auf der Wiese sitzend, spielten Karten. »Sie werden dem Hugo bald kein Taschengeld zu geben brauchen, gnä' Frau,« rief der Baumeister, »der könnt' schon heut' vom Tarock seine bescheidenes Auskommen haben.« – »Da wär' es ja ratsam,« erwiderte Beate näherkommend, »wir machten uns auf den Heimweg, ehe Sie ganz ruiniert sind.« Fritz sah zu Beate auf mit glühenden Wangen, sie lächelte ihm entgegen. Bertram, sich erhebend, ließ einen Blick zum Himmel aufsteigen und dann in kleinen Fünkchen über sie niedergehen. Was habt ihr nur alle? dachte sie. Und was hab' ich? Denn plötzlich merkte sie, daß sie die Linien ihres Körpers wie lockend spielen ließ. Hilfesuchend heftete sie den Blick auf ihres Sohnes Stirn, der eben mit leuchtendem Kindergesicht und unsäglich zerrauft sein letztes Blatt ausspielte. Er gewann die Partie und nahm vom Baumeister stolz eine Krone und zwanzig Heller in Empfang. Man rüstete zum Abmarsch, nur Frau Arbesbacher schlummerte ruhig weiter. »Laß mir's liegen«, scherzte der Baumeister. Aber in diesem Augenblick reckte sie sich auch schon, rieb sich die Augen

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