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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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freien Sonntag hatte, fand sich Beate allein zu Hause. In ihrem Schlafzimmer entkleidete sie sich, und einer dumpfen Müdigkeit nachgebend, die nun in diesen Nachmittagsstunden oft über sie kam, streckte sie sich auf ihr Bett hin. Des Alleinseins, der Stille, des sehr gedämpften Lichts mit Bewußtsein genießend, lag sie eine Zeitlang mit offenen Augen da. In dem schiefgestellten Ankleidespiegel ihr gegenüber, in verschwommenen Umrissen, erschien das lebensgroße Brustbild ihres verstorbenen Gatten, so wie es über ihrem Lager hing. Doch deutlich sah sie nur einen mattroten Fleck hervortreten, von dem sie wußte, daß er die Nelke im Knopfloch vorstellte. In der ersten Zeit nach Ferdinands Tod hatte dieses Bild für Beate ein seltsam eigenes Leben weitergeführt. Sie hatte es lächeln oder trübe blicken, heiter oder schwermütig gesehen; ja manchmal war ihr gewesen, als spräche aus den gemalten Zügen in geheimnisvoller Weise Gleichgültigkeit oder Verzweiflung über den eigenen Tod. Im Lauf der Jahre war es freilich stumm und verschlossen worden; blieb eine gemalte Leinwand und nicht mehr. Heute aber, in dieser Stunde, schien es wieder leben zu wollen. Und ohne daß es Beate im Spiegel scharf zu sehen vermochte, war ihr doch, als sendete es einen spöttischen Blick über sie hin, und Erinnerungen wachten in ihr auf, die, harmlos oder gar heiter bisher, sich mit neuen, höhnischen Gebärden vor ihre Seele drängten. Und statt der Einen, auf die ihr Verdacht gelenkt worden war, zog eine ganze Reihe von Frauen an ihr vorüber, die, zum Teil bis auf die Gesichtszüge vergessen, vielleicht alle, wie sie mit einem Male denken mußte, Ferdinands Geliebte gewesen waren, – Verehrerinnen, die sich Autogramme und Photographien geholt, junge Künstlerinnen, die Unterricht bei ihm genommen, Damen der Gesellschaft, in deren Salon er und Beate verkehrt hatten, Kolleginnen, die auf der Bühne als Gattinnen, Bräute, Verführte ihm in die Arme gesunken waren. Und sie fragte sich, ob es nicht sein Schuldbewußtsein gewesen war, das, ohne ihn weiter sonderlich zu bedrücken, ihn doch mit so weise scheinender Milde gegen Treulosigkeiten Beatens erfüllte, die sie später etwa an seinem Andenken verüben mochte. Und mit einem Male, als hätte er die nutzlos unbequeme Maske abgeworfen, die er als Lebendiger und Toter lange genug getragen, stand er mit seiner roten Knopflochnelke vor ihrer Seele als ein geckischer Komödiant, dem sie nichts gewesen war als die tüchtige Hausfrau, die Mutter seines Sohnes und ein Weib, das man eben manchmal wieder umarmte, wenn es in lauer Sommernacht der matte Zauber des Nebeneinanderseins so fügen wollte. Und so wie sein Bild war ihr mit einem Male auch seine Stimme unbegreiflich verändert. Sie schwang nicht mehr in dem edeln Hall, der ihr noch in der Erinnerung herrlicher tönte als die Stimme aller Lebendigen; sie klang leer, affektiert und falsch. Doch plötzlich, erschreckt und aufatmend zugleich, ward ihr bewußt, daß es wirklich nicht seine Stimme war, die eben in ihrer Seele klang, sondern die eines andern, eines, der neulich sich unterfangen, hier in ihrem Hause sich unterfangen hatte, Organ, Tonfall und Gebärden ihres verstorbenen Gatten nachzuäffen.
    Sie richtete sich im Bette auf, stützte den Arm auf die Polster und starrte entsetzt in das Dämmer des Gemachs. Jetzt erst in der völligen Ungestörtheit dieser Stunde trat ihr jenes Geschehnis in seiner ganzen Ungeheuerlichkeit vor die Seele. Vor acht Tagen war es gewesen, an einem Sonntag wie heut, sie war im Garten gesessen in Gesellschaft ihres Sohnes und – mit verzerrten Lippen dachte sie das Wort – ihres Geliebten; da war mit einemmal ein junger Mensch erschienen, groß, brünett, mit blitzenden Augen, im Touristenanzug, mit grüngelbroter Krawatte, – den sie nicht erkannte, ehe die freudige Begrüßung durch die beiden anderen jungen Leute ihr zu Bewußtsein brachte, daß Rudi Beratoner vor ihr stand, derselbe, der im vergangenen Winter Hugo ein paarmal besucht hatte, um Bücher von ihm zu leihen, und von dem sie wußte, daß er einer von den zweien war, die nach Hugos Bericht eine Frühjahrsnacht im Prater mit leichtsinnigen Frauenzimmern durchschwärmt hatten. Er kam heute geradeswegs aus Ischl, wo er Fritz im Hause von dessen Eltern vergeblich gesucht hatte, und man behielt ihn natürlich zum Mittagessen da. Er gab sich lustig, überlaut, zeigte sich besonders unermüdlich im Erzählen von Jagdgeschichten und

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