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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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Wieder so eine Reise, wie vor zwei Jahren im Frühling. Erinnerst du dich? Mit dem Wagen über Mürzsteg nach Mariazell. War das nicht schön? Und diesmal wird es noch viel schöner sein. Und wenn's dir zuerst auch ein bißchen schwer wird, o Gott, ich weiß ja, ich frag dich ja nicht, und du mußt mir gar nichts erzählen. Aber wenn du so vieles Schöne und Neue siehst, so wirst du vergessen. Sehr schnell wirst du vergessen. Viel schneller, als du ahnst. – Und du, Mutter, du? – Es kam ganz tief aus ihr mit Hugos Stimme. Sie fuhr zusammen. Und sie nahm rasch die Hände von den Augen, wie um sich zu vergewissern, daß sie allein war. Ja, sie war es. Ganz allein im Haus, in dem dämmerigen Zimmer; draußen atmete schwer und schwül der Sommertag, niemand konnte sie stören. Sie hatte Ruhe und Zeit zu überlegen, was sie ihrem Sohne sagen sollte. Und das war gewiß: eine Erwiderung, wie ihre erregten Sinne sie ihr vorgetäuscht hatten, brauchte sie nicht zu fürchten. »Und du, Mutter?« Das konnte er sie nicht fragen. Denn er wußte nichts, er konnte ja nichts wissen. Und er wird auch niemals etwas wissen. Selbst wenn irgendeinmal ein dunkles Gerücht an sein Ohr dringt, er wird es nicht glauben. Nie wird er so etwas von seiner Mutter glauben. Darüber kann sie ganz beruhigt sein. Und sie sieht sich mit ihm wandeln in irgendeiner phantastischen Landschaft, wie sie sich ihrer wohl von einem Bild her erinnert, auf einer graugelben Straße – und in der Ferne ganz im Blau schwimmt eine Stadt mit vielen Türmen. Und dann wieder gehen sie auf einem großen Platz herum unter Bogengängen, unbekannte Menschen begegnen ihr und sehen sie an, sie und ihren Sohn. So merkwürdig sehen sie sie an, mit frechem, zähneblitzendem Lachen und denken sich: Ah, die hat sich da einen hübschen Burschen auf die Reise mitgenommen. Seine Mutter könnte sie sein. Wie? Die Leute halten sie für ein Liebespaar? Nun, warum nicht. Die können ja nicht wissen, daß der Bursch da ihr Sohn ist; – und ihr merken sie wohl an, daß sie eine von den überreifen Frauen ist, denen die Laune nach so jungem Blute steht. Und da gehen sie nun beide in einer fremden Stadt herum, unter unbekannten Leuten, und er denkt an seine Liebste mit dem Pierrotgesicht, und sie an ihren blonden süßen Buben. Sie stöhnt auf. Sie ringt die Hände. Wohin noch? Wohin? Nun war ihr gar das Kosewort verräterisch über die Lippen geglitten, mit dem sie ihn heute nacht erst zärtlich am Busen hielt. Ihn, von dem sie nun für immer Abschied nehmen und den sie niemals, niemals wiedersehen wird. Doch, einmal noch, heute, wenn er zurückkommt. Oder morgen früh. Aber ihre Türe heute nacht wird versperrt bleiben. Es ist aus für immer. Und sie will ihm zum Abschied sagen, daß sie ihn sehr geliebt hat, so sehr, wie es ihm sicher nie wieder begegnen wird. Und in diesem stolzen Gefühl wird er seiner ritterlichen Pflicht zu ewiger Verschwiegenheit um so tiefer sich bewußt werden. Und er wird es verstehen, daß geschieden sein muß, und er wird ihr die Hand noch einmal küssen und wird gehen. Wird gehen. Und was dann? Was dann? Und sie fühlt sich daliegen mit halbgeöffneten Lippen, ausgebreiteten Armen, bebendem Leib, und sie weiß es: träte er in diesem Augenblick durch die Türe, sehnsüchtig und jung, sie vermöchte ihm nicht zu widerstehen und würde ihm wieder gehören mit all der Inbrunst, die nun in ihr erwacht ist wie etwas jahrelang Vergessenes, ja, wie etwas, das sie vorher gar nicht gekannt hat. Und nun weiß sie auch, gequält und beseligt zugleich, daß der Jüngling, dem sie sich gegeben, nicht ihr letzter Geliebter sein wird. Aber schon regt es sich in ihr mit heißer Neugier: wer wird der nächste sein? Doktor Bertram? Ein Abend kommt ihr ins Gedächtnis – war es vor drei, vor acht Tagen? – sie weiß es nicht, die Zeit dehnt sich, verkürzt sich, die Stunden schwimmen ineinander und bedeuten nichts mehr – im Park bei Welponers war es gewesen, wo Bertram in einer dunklen Allee sie mit einemmal an sich gerissen, umschlungen und geküßt hatte. Und wenn sie ihn auch heftig von sich gestoßen, was konnte ihm das bedeuten, da er doch den gewährenden Druck ihrer kußgewohnten Lippen hatte fühlen müssen? Darum war er auch gleich so ruhig geworden und bescheiden, als wüßte er doch ganz genau, woran er wäre, und in seinem Blick stand zu lesen: Der Winter gehört mir, schöne Frau. Wir sind ja auch längst einverstanden. Wir wissen es beide, daß der Tod ein

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