Erzaehlungen
wieder abgereist, da er mit Freunden in Bozen zusammentreffen sollte; und obwohl Beate ihn zum Verweilen nicht aufgefordert hatte, schien er beim Abschied sehr aufgeräumt und hoffnungsvoll, denn in der übermütigen Stimmung jenes Sommertages hatte sie's auch ihm gegenüber an aufmunternden und verheißenden Blicken nicht fehlen lassen. Nun tat ihr auch dies leid, wie so vieles andere, und sie sah der nächsten Unterredung mit ihm um so unsicherer entgegen, als ihr das allmähliche Schwinden ihrer Willenskraft in der tiefen Abspannung dieser Stunde besonders schmerzlich bewußt ward. Mit gleicher Beschämung erinnerte sie sich jenes Gefühls von Hilflosigkeit, das sie während ihrer letzten Gespräche mit Direktor Welponer manchmal überkommen hatte; und doch schien es ihr, daß sie, vor eine Wahl gestellt, sich eher als die Gattin des Direktors denken könnte, ja sie mußte sich gestehen, daß diese Vorstellung eines gewissen Reizes für sie nicht entbehrte. Heute war ihr sogar, als hätte dieser Mann sie seit jeher interessiert; und was der Baumeister in der letzten Zeit von großartigen Spekulationen und Kämpfen des Bankdirektors erzählt, in denen er gegen Minister und Mitglieder des Hofes den Sieg davongetragen hatte, war durchaus geeignet gewesen, Beatens Neugier und Bewunderung zu erregen. Übrigens hatte auch Doktor Teichmann ihn gesprächsweise ein Genie genannt und ihn in der Kühnheit seiner Unternehmungen, was für Teichmann jederzeit das Höchste bedeutete, mit einem todesmutigen Reitergeneral verglichen. So durfte es Beaten wohl ein wenig schmeicheln, wenn gerade dieser Mann sie zu begehren schien, ganz abgesehen von der Genugtuung, die es ihr bereiten würde, der Frau den Mann zu nehmen, die ihr einmal den ihren geraubt hatte. Mir den meinen? fragte sie sich mit verwirrtem Staunen. Was ist mir nur? Wo gerate ich hin? Glaube ich es denn? Es kann ja nicht wahr sein. Alles andere, aber nicht das. Davon hätte ich doch etwas merken müssen. Merken müssen? Warum? War Ferdinand nicht ein Schauspieler und ein großer dazu? Warum sollte es nicht geschehen sein, ohne daß ich es gemerkt habe? Ich war ja so vertrauensvoll, da ist's wohl nicht schwer gewesen, mich zu betrügen. Nicht schwer ... Aber darum muß es noch nicht geschehen sein. Fritz ist ein Schwätzer, ein Lügner, und auch die Gerüchte sind lügnerisch und dumm. Und wenn es doch geschehen ist, nun, so ist es lang vorbei. Und Ferdinand ist tot. Und die damals seine Geliebte war, ist eine alte Frau. Was geht mich all dies Vergangene an? Was jetzt zwischen dem Direktor und mir sich abspielt, ist eine ganz neue Geschichte, die mit jener vergangenen nichts mehr zu tun hat. Wahrhaftig, dachte sie weiter, es wäre so übel nicht, eines Tages dort oben einzuziehen in die fürstliche Villa mit dem großen Park. Welcher Reichtum, welcher Glanz! Und welche wunderbaren Aussichten für Hugos Zukunft! ... Freilich, jung war er nicht mehr. Und das kam immerhin einigermaßen in Betracht, besonders wenn man so verwöhnt war wie sie in der letzten Zeit. Ja, gerade im Laufe dieses Sommers, im Laufe dieser letzten Wochen schien er sonderbar rasch zu altern. Ob daran nicht die Liebe zu ihr mit schuld war? Nun, was tut's? Es gibt ja Jüngere auch, man wird ihn eben betrügen; es ist offenbar sein Los. Sie lachte kurz, es klang häßlich und bös, und sie fuhr auf wie aus einem wüsten Traum. Wo bin ich? Wo bin ich? flüsterte sie vor sich hin. Sie rang die Hände himmelwärts. Wie tief noch läßt du mich sinken! Gibt es denn keinen Halt mehr? Was ist's denn, was mich so elend macht und so erbärmlich? Was macht, daß ich überallhin ins Leere greife und nicht besser bin als Fortunata und alle Weiber dieser Art? Und plötzlich mit versagendem Herzschlag wußte sie's, was sie elend machte: der Boden, auf dem sie jahrelang in Sicherheit dahingewandelt, schwankte, und der Himmel dunkelte über ihr: der einzige Mann, den sie je geliebt, ihr Ferdinand, war ein Lügner gewesen. Ja ... sie wußte es nun. Sein ganzes Leben mit ihr war Trug und Heuchelei gewesen; mit Frau Welponer hatte er sie betrogen und mit anderen Frauen, mit Komödiantinnen und Gräfinnen und Dirnen. Und wenn in schwülen Nächten der matte Zauber des Nebeneinanderseins ihn in Beatens Arme gedrängt hatte, so war es von allen Lügen die schlimmste und niedrigste gewesen, denn an ihrer Brust, sie wußte es, hatte er der andern, all der andern in lüsterner Tücke gedacht. Warum aber wußte sie es mit
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