Erzaehlungen
dem Monde. Beate verstand den Blick und sagte: »Den brauchen wir ja nicht.« »Was tun wir denn da draußen auf dem dunklen Wasser?« fragte er schwach. Sie nahm ihn beim Kopf, blickte ihm in die Augen und sagte: »Du sollst mir erzählen. Du sollst mir sagen, was dir geschehen ist, wie du's früher immer getan hast.« Sie ahnte, daß draußen in der Nachteinsamkeit des vertrauten Sees die Scheu von ihm weichen müßte, die ihn jetzt noch davon abhielt, der Mutter zu gestehen, was ihm widerfahren war. Da sie nun in seinem Schweigen keinen weiteren Widerstand spürte, wandte sie sich entschlossen der Bootshütte zu, wo ihr Kahn seinen Platz hatte. Die Holztüre war nur angelehnt. Sie trat mit Hugo in den dunklen Raum, kettete das Schiff los, eilfertig, als gälte es die Stunde nicht zu versäumen, dann schwang sie sich hinein, Hugo ihr nach. Er nahm eines der Ruder, stieß ab, und in der Sekunde darauf war der freie Himmel über ihnen. Hugo nahm nun auch das zweite Ruder und führte den Kahn längs des Ufers am Seehotel vorbei, so nahe, daß sie die Stimmen von der Terrasse zu hören vermochten. Es schien Beaten, als könnte sie die des Baumeisters aus den übrigen heraushören. Die einzelnen Gestalten und Gesichter waren nicht zu unterscheiden. Wie leicht es doch war, den Menschen zu entfliehen! Was liegt mir in diesem Augenblick daran, dachte Beate, was sie über mich reden, von mir glauben oder wissen –? Man stößt einfach mit einem Kahn vom Ufer ab, fährt so nahe an den Leuten vorbei, daß man noch ihre Stimmen vernehmen kann, und doch ist alles schon völlig gleichgültig! Wenn man nicht wieder zurückkommt ... klang es noch tiefer in ihr, und sie bebte leise. – Sie saß am Steuer und lenkte das Schiff gegen die Mitte des Sees zu. Noch immer war der Mond nicht aufgegangen, aber das Wasser ringsum, als hätte es die Tagessonne in sich aufbewahrt, umfloß den Kahn mit einem matten Lichtkreis. Manchmal kam auch noch vom Ufer her ein Strahl, in dem Beate zu sehen glaubte, wie Hugos Antlitz immer frischer und unbesorgter wurde. Als sie ziemlich weit draußen waren, ließ Hugo die Ruder sinken, entledigte sich seines Rockes und öffnete den Hemdkragen. Wie ähnlich er seinem Vater sieht, dachte Beate mit wehem Staunen. Nur hab' ich den nicht so jung gekannt. Und wie schön er ist. Es sind edlere Züge als die Ferdinands. Doch die hab' ich ja nie gekannt, auch seine Stimme nie, es waren ja immer die Stimmen und Gesichter von andern. Seh ich ihn heut zum erstenmal? ... Und es schauerte sie tief. Aber nun begannen Hugos Züge, da der Kahn ganz in den Nachtschatten der Berge gelangt war, allmählich zu verschwimmen. Er begann wieder zu rudern, doch ganz langsam, und sie kamen kaum von der Stelle. Nun wäre es wohl an der Zeit, dachte Beate, wußte aber einen Augenblick gar nicht recht, wozu es Zeit sein sollte, bis ihr plötzlich wieder, als erwachte sie aus einem Traum, der Wunsch, Hugos Erlebnis zu kennen, brennend durch die Sinne fuhr. Und sie fragte: »Also, Hugo, was ist geschehen?« Er schüttelte nur den Kopf. Sie aber mit wachsender Spannung fühlte, daß es ihm mit seiner Weigerung nicht mehr Ernst war. »Sprich nur, Hugo«, sagte sie. »Du kannst mir alles sagen. Ich weiß ja schon so viel. Du kannst es dir wohl denken.« Und als vermöchte sie damit einen letzten Zauber zu bannen, flüsterte sie den Namen in die Nacht: »Fortunata«. Durch Hugos Körper ging ein Zittern, so heftig, daß es sich dem Kahne mitzuteilen schien. Beate fragte weiter: »Du warst heute bei ihr – und so kommst du zurück? Was hat sie dir getan, Hugo?« Hugo schwieg, ruderte gleichmäßig weiter, sah in die Luft. Plötzlich kam es Beate wie eine Erleuchtung. Sie griff sich an die Stirn, als verstünde sie gar nicht, daß sie es nicht früher erraten, und sich nahe zu Hugo beugend, flüsterte sie rasch: »Der ferne Kapitän war da, nicht wahr? Und der hat dich bei ihr gefunden?« Hugo blickte auf: »Der Kapitän?«
Jetzt erst fiel ihr ein, daß der, den sie meinte, gar kein Kapitän war. »Den Baron mein ich«, sagte sie. »Er war da? Er hat euch gefunden? Er hat dich beleidigt? Er hat dich geschlagen, Hugo?«
»Nein, Mutter, der, von dem du sprichst, der ist nicht da. Ich kenn ihn gar nicht. Ich schwöre es dir, Mutter.«
»Was also denn?« fragte Beate. »Sie hat dich nicht mehr lieb? Sie ist deiner überdrüssig? Sie hat dich verhöhnt? Hat dir die Türe gewiesen? Ja, Hugo?«
»Nein, Mutter.« Und er schwieg.
»Also, Hugo,
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