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Erzaehlungen

Erzaehlungen

Titel: Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Schnitzler
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gerade durch diese Eröffnung ward sich der Doktor bewußt, daß für ihn noch lange nicht die Zeit der Ruhe gekommen, ja daß ihm sogar ein heftiger Trieb zur Tätigkeit eingeboren wäre; und dies mit Lebhaftigkeit versichernd, stand er nicht länger an, dem alten Freund von der Heilanstalt zu berichten, über deren Ankauf er kurz vor Verlassen des Badestädtchens in aussichtsvolle Unterhandlungen eingetreten sei. Der Rechtsanwalt hörte aufmerksam zu, ließ sich über manche Einzelheiten nähere Aufklärung geben, schien anfangs den Absichten des Doktors zustimmend gegenüberzustehen, zögerte aber am Ende doch, den Freund ernstlich zu einem Unternehmen anzueifern, das, abgesehen von ärztlicher Geschicklichkeit und gewandten Verkehrsformen, die er ihm natürlich in weitestem Ausmaß zugestehen wolle, eine gewisse ordnende und geschäftliche Begabung erforderte, von deren Vorhandensein Gräsler bisher keine ausreichenden Proben abgelegt habe. Der Doktor, der diese Einwendung mußte gelten lassen, fragte sich, ob es nicht geraten wäre, nun von Fräulein Schleheim zu sprechen, die ja diesem Teil der ihm vielleicht bevorstehenden Aufgabe durchaus gewachsen wäre. Aber der alte Junggeselle, der ihm hier gegenübersaß, wäre wohl der letzte gewesen, für eine Herzensgeschichte so besonderer Art das richtige Verständnis aufzubringen. Allzu gut kannte Gräsler Böhlingers Eigenheit, sich über die Frauen bei jeder Gelegenheit in wegwerfender, ja zynischer Weise auszulassen, und er hätte es nicht über sich gebracht, eine leichtfertige Bemerkung über Sabine ruhig hinzunehmen. Aus dem Erlebnis, durch das er zu einem solchen Weiberverächter geworden, hatte Böhlinger dem Jugendfreund seinerzeit kein Geheimnis gemacht. Auf einer Redoute hier in der Stadt, wo einmal jedes Jahr die bürgerliche Gesellschaft sich mit der Welt des Theaters, aber auch mit sittlich noch bedenklicheren Elementen zu begegnen pflegte, hatte Böhlinger, im Fluge gleichsam, die vollkommene Gunst einer Dame gewonnen, der niemand, auch in den phantastischesten Träumen, solche Verwegenheit und solchen Leichtsinn zugetraut hätte. Sie selbst, die auch im letzten Rausch die Maske nicht fallen ließ, hatte sich damals und so für alle Zeit unerkannt gehalten; durch einen merkwürdigen Zufall aber war es Böhlinger nicht verborgen geblieben, wer in jener Nacht die Seine geworden war. Da er dem Freunde wohl das Abenteuer erzählt, den Namen der Geliebten aber dauernd verschwiegen hatte, gab es bald nicht ein weibliches Wesen in der Stadt, Frau oder Mädchen, auf das Gräsler nicht einen Verdacht geworfen hätte, der sich um so dringender meldete, je tadelloser Ruf und Lebenswandel der betreffenden Dame für die Welt sich darstellen mochte. Jenes Abenteuer war es auch gewesen, das Böhlinger davon abhielt, mit irgendeiner seiner Mitbürgerinnen eine innigere oder gar eine auf Ehe hinzielende Verbindung einzugehen, und so war er, als geschätzter Rechtsanwalt in einer auf Anstand und Sittenreinheit sehr bedachten Mittelstadt, genötigt, auf häufig wiederholten kurzen und geheimnisvollen Urlaubsreisen weitere Erfahrungen zu sammeln, die ihn in seiner bitteren Anschauung vom weiblichen Geschlecht nur bestärken mußten. Daher wäre es von Gräslers Seite unklug gewesen, Sabinens Namen in dieses Gespräch zu ziehen, doppelt unklug sogar, da er das anmutige, reine Geschöpf, das sich ihm gewissermaßen an den Hals geworfen, doch wieder freigegeben, ja vielleicht schon für immer verloren hatte. Aus diesen Erwägungen ließ sich Gräsler in eine weitere Unterhaltung über seine Zukunftspläne lieber nicht mehr ein, erklärte ausweichend, daß er für alle Fälle noch Nachrichten von seiten des Baumeisters abzuwarten gesonnen sei, und forderte endlich den Jugendfreund, nicht so herzlich, als er sich vorgesetzt, zu baldigem Besuche am Burggraben auf, wobei ihm erst einfiel, daß er ihm auch noch für seine Mühewaltung bei der Beaufsichtigung der Tapezierarbeiten Dank schulde. Diesen lehnte Böhlinger bescheiden ab; doch freue er sich jedenfalls, die Räume bald wieder zu betreten, die auch für ihn an Jugenderinnerungen, leider an allzu fernen, nicht eben arm seien. Sie schüttelten einander die Hände und sahen sich in die Augen. Die des Rechtsanwaltes schienen feucht werden zu wollen; aber auch jetzt verspürte Gräsler nichts von der Rührung, die er den ganzen Tag vergeblich erwartet und die ihm den dürftigen Nachgeschmack dieser Stunde hätte veredeln

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