Erzaehlungen
meinem Beruf ein Geheimnis zu machen. Und haben Sie denn zu Hause auch gesagt, daß Sie heute mit mir ins Theater zu gehen beabsichtigen?«
»Das geht niemanden was an. Und es fragt mich auch keiner. Ich könnte doch wohl allein gehen, wenn es mir beliebte – nicht wahr?«
»Gewiß könnten Sie, aber es ist mir lieber, – so wie es sich eben gefügt hat.«
Sie blickte zu ihm auf, nach ihrer Gewohnheit die eine Hand an den Rand ihres Hutes führend, und sagte: »Allein macht es einem keine rechte Freude. Theater ist nur in Gesellschaft schön. Es muß jemand danebensitzen, der auch lacht, und den man angucken kann und –«
»Und? was wollten Sie sagen?«
»Und in den Arm kneifen, wenn es besonders schön wird.«
»Hoffentlich wird's heute besonders schön – ich stehe jedenfalls zur Verfügung.«
Sie lachte leise und ging rascher, als fürchtete sie, den Anfang zu versäumen.
»Wir sind zu früh da,« sagte Doktor Gräsler, als sie vor dem Theatergebäude standen; »es ist beinahe noch eine Viertelstunde Zeit.«
Sie hörte nicht auf ihn. Leuchtenden Auges lief sie ihm voraus in den ersten Rang, kümmerte sich kaum um ihn, als er ihr behilflich war, die Jacke abzulegen; und erst als sie nebeneinander auf ihren Plätzen in der dritten Reihe saßen, traf ihn ein dankbarer Blick.
Doktor Gräsler suchte in dem mäßig besetzten Zuschauerraum nach bekannten Gesichtern. Hier und dort bemerkte er eines, dessen er sich zu erinnern vermochte. Ihn selbst, der im Dämmer saß, erkannte gewiß niemand.
Der Vorhang hob sich. Man gab einen neueren deutschen Schwank. Katharina unterhielt sich vortrefflich, und oft lachte sie auf, aber ohne sich nach ihrem Nachbar umzuwenden. Im ersten Zwischenakt kaufte er ihr eine Tüte Bonbons, die sie dankbar lächelnd entgegennahm. Während des zweiten Aktes nickte sie ihm bei Stellen, die ihr besonders lustig erschienen, vergnügt zu. Während das Spiel weiterging, dem Doktor Gräsler etwas zerstreut zuhörte, fühlte er von einer Loge her einen Operngucker auf sich gerichtet. Er erkannte Böhlinger, grüßte ihn unbefangen und erwiderte in keiner Weise den pfiffig fragenden Blick des alten Freundes. Als er im letzten Zwischenakt mit Katharina in den Wandelgängen hin und her spazierte, hing er sich plötzlich in ihren Arm, was sie ohne weiteres geschehen ließ, gab über die Leistungen einiger Darsteller seine Meinung ab, aber so eindringlich und leise, als gäbe es ein holdes Geheimnis zwischen ihm und seiner reizenden Begleiterin, und er war etwas enttäuscht, Böhlinger nicht zu begegnen. Das letzte Zeichen tönte, und als Gräsler nun wieder neben Katharina saß, rückte er so nahe an sie heran, daß ihre Arme sich berührten und da sie den ihren nicht regte, fühlte er, wie sich allmählich eine immer vertrautere Beziehung zwischen ihm und ihr hergestellt hatte, und in der Garderobe, während er ihr in die Jacke hineinhalf, durfte er es wohl wagen, ihr flüchtig Haare und Wangen zu streicheln.
Als sie vor dem Tore standen, sagte sie, unter dem Hut zu ihm aufblickend, in einem Ton, der nicht ganz ernst gemeint klang: »Jetzt muß ich zusehen, daß ich nach Hause komme.«
»Aber vorher,« entgegnete er gewandt, »werden Sie mir, wie ich hoffe, liebes Fräulein Katharina, die Ehre erweisen, mein bescheidenes Mahl mit mir zu teilen.«
Sie sah ihn zuerst an wie fragend, dann nickte sie ernst und so rasch, als verstünde sie mehr, als er gesagt hatte. Und wie Liebende, deren Schritte die Leidenschaft beschleunigt, Arm in Arm, eilten sie durch die abendlichen Straßen seinem Hause zu.
Als sie in seiner Wohnung angelangt waren und er im Arbeitszimmer Licht gemacht hatte, blickte Katharina rings um sich und betrachtete Bilder und Bücher mit neugierigen Augen. »Gefallt es Ihnen bei mir?« fragte er. Sie nickte. »Es ist aber doch ein ganz altes Haus, nicht wahr?« – »Dreihundert Jahre gewiß.« – »Und wie neu alles aussieht!«
Gern erbot er sich, ihr die übrigen Räume zu zeigen, die in Ausstattung und Anordnung ihren Beifall fanden; doch als sie mit ihm ins Zimmer seiner verstorbenen Schwester trat, sah sie ihn befremdet an. »Sie sind doch nicht am Ende verheiratet,« sagte sie, »und Ihre Frau ist – verreist?« Er lächelte zuerst, dann strich er sich mit der Hand über die Stirn, und mit gedämpfter Stimme erklärte er ihr, daß dieses völlig neu eingerichtete Zimmer für seine Schwester bestimmt gewesen sei, die vor wenigen Monaten im Süden gestorben war.
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